Der Nil - Strombaum und Abfluss

Afrika - Ein „Geschenk“ des Nils
978-3-14-100870-8 | Seite 182 | Abb. 2| Maßstab 1 : 20000000

Überblick

Der Abfluss des Nils lässt sich auf der Grundlage naturräumlicher (Klima, Relief, natürliche Seen) und anthropogener Faktoren (Entnahme von Wasser für Bewässerungszwecke, Bau von Staudämmen und Schleusen) erklären.

Das Stromgebiet des Nils ist von Süden nach Norden in vier typische Klimazonen zu gliedern. Das Quellgebiet des Weißen Nils liegt im Bereich der immerfeuchten Tropen mit ganzjährig hohen Niederschlägen. Exemplarisch ist hier die Station Kampala (s. 182.1). Daran schließt sich nördlich die Zone der wechselfeuchten Tropen an (s. Station Bahir Dar, 182.1). Dort sind die Niederschläge ebenfalls noch sehr hoch. Allerdings zeigt sich eine typische Gliederung in Regen- und Trockenzeit. Je weiter man nach Norden kommt, desto geringer werden die Niederschläge (s. Station Khartum, 182.1). Im Bereich der Wüsten können sie sogar ganz ausbleiben (s. Station Assuan, 182.1). Der Küstensaum zum Mittelmeer schließlich bildet eine Übergangszone, in der die Niederschläge bereits wieder höher liegen als in der Zone der Wüsten und Halbwüsten (s. Station Kairo, 182.1). Allerdings sind sie immer noch sehr gering und erreichen nicht die Werte, die im sonstigen Mittelmeerraum oder in der Zone der Savannen des nördlichen Afrikas typisch sind.

Teile der Zentralafrikanischen Schwelle, des nördlichen Ostafrikanischen Seenhochlandes und des Hochlands von Äthiopien heben sich als besonders niederschlagsreich ab. Hier machen sich Höhenlage und Exposition bemerkbar. Sie führen dazu, dass statt einer streng zonalen Abfolge der Klimazonen und damit der Gebiete gleicher Niederschläge eine stärker mosaikartige, am Relief orientierte räumliche Gliederung zu beobachten ist.

Im Ergebnis dieser Faktoren ist der Abfluss des Nils oberhalb von Assuan ganz wesentlich ein Spiegel der Niederschläge und ihres Jahresgangs im Einzugsbereich des Weißen Nils, des Blauen Nils und ihrer Nebenflüsse. Am Oberlauf des Weißen Nils zwischen seinen Quellgebieten und der Mündung des Nebenflusses Bahr al-Arab nahe der Stadt Malakal zeigen sich im Jahresverlauf keine nennenswerten Schwankungen des Abflusses. Eine ausgleichende Wirkung ergibt sich durch die ostafrikanischen Seen (vor allem Albertsee, Kyogasee und Victoriasee, aus denen sich der Weiße Nil speist).

Der bei Malakal aus Richtung Osten mündende Nebenfluss des Weißen Nils, vor allem aber der Blaue Nil sind im Abflussverhalten leicht mit den Maxima bzw. Minima des Niederschlags in der Region in Verbindung zu bringen. Die höchsten Abflusswerte werden am Blauen Nil im August und September erreicht, zeitlich etwas versetzt zu den niederschlagsreichsten Monaten Juli und August. Die niedrigsten Werte liegen zwischen Januar und Juni und sind eine Folge der Trockenzeit in der Region. Ein vergleichbares Bild zeigt der Atbara weiter nördlich, der als jahreszeitlich wasserführender Fluss nur in den Monaten Juli bis September nennenswerte Mengen zum Abfluss des Nils beiträgt.

Die Abflusskurve des Nils oberhalb von Assuan ergibt sich aus der Summe der Abflüsse des Weißen Nils und des Blauen Nils, die bei Khartum ineinander münden. Darin zeigt sich ein Maximum in den Monaten August bis Oktober - zeitlich versetzt zum Blauen Nil. Das Minimum in den Monaten Februar bis Juni ist nicht so stark ausgeprägt wie am Blauen Nil; hier macht sich die ganzjährig gleichmäßige Wasserführung des Weißen Nils ausgleichend bemerkbar.

Unterhalb des Assuan-Staudamms zeigt der Nil einen sehr ausgeglichenen Abfluss. Der Damm staut ein riesiges, bis zu 70 Meter tiefes Wasserreservoir auf. Bei mehr als 550 Kilometern Länge (entspricht fast der Entfernung Hamburg - München, Luftlinie) und bis zu 10 Kilometern Breite nimmt der Nasser-See eine etwa doppelt so große Fläche ein wie das Saarland. Der Bodensee als größter deutscher See ist mit 536 Quadratkilometern nur etwa ein Zehntel so groß.

Der Nasser-See wurde zwischen 1958 und 1970 angelegt, um ...

• in der Niloase zwischen Assuan und dem Delta Dauerbewässerung zu ermöglichen, die Anbauperiode auf das gesamte Jahr auszudehnen (mehrere Ernten) und das Bewässerungsland insgesamt ausweiten zu können,

• ganzjährig Strom zu erzeugen,

• die Schifffahrt auf dem Nil zu verbessern,

• Wasserreserven für die Überbrückung von Trockenjahren anzulegen, wie sie regelmäßig auftreten,

• den Hochwasserschutz für die Siedlungsgebiete flussabwärts zu verbessern.

Um diese Ziele zu erreichen, wurden nicht nur hohe Investitionen getätigt, sondern auch Risiken und Nachteile in Kauf genommen. Dazu zählt zum Beispiel, dass für die Bauern flussabwärts des Staudamms seit Beginn der 1970er-Jahre kein fruchtbarer Nilschlamm mehr zu Verfügung steht, der bis dahin im Zuge der jährlichen Überschwemmungen ihr Land auf natürliche Weise gedüngt hatte. Sie waren daher gezwungen, stattdessen Kunstdünger einzusetzen.

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