Weltmeere - Gefährdete Nahrungsquelle

Erde - Weltmeere als Nahrungsquelle
978-3-14-100870-8 | Seite 22 | Abb. 1

Überblick

Der Zustand der Weltmeere ist kritisch, ihre Ökosysteme sind so bedroht wie nie zuvor. Ursächlich dafür ist ein ganzes Konvolut von Ursachen, deren gemeinsames Merkmal es ist, dass sie alle anthropogen, durch Menschen verursacht sind. Zu diesen Belastungen zählen:
• der Klimawandel (Meereserwärmung und Meeresspiegelanstieg, eine Gefahr vor allem für die ökologisch sensiblen Korallenriffe, Ozeanversauerung),
• die Meeresverschmutzung (Gifte und Schwermetalle aus der Industrie, ungeklärte Abwässer, Nährstoffe aus der Landwirtschaft, Plastikmüll etc.), wobei an großen Flüssen wie Indus, Colorado, Mississippi oder Donau besonders hohe Einträge gemessen werden,
• die Zerstörung von Lebensräumen (Baumaßnahmen, Abholzung von Mangrovenwäldern etc.),
• die steigende Nachfrage nach Ressourcen (Erdöl- und Erdgasgewinnung, Abbau von Kiesen und Sanden, Meeresbergbau etc.),
• Bioinvasion (Einwanderung invasiver Arten, Veränderung von Ökosystemen),
• Überfischung (Übernutzung der Bestände durch legale und illegale Fischerei).
Ein gravierendes Problem ist vor allem die Überfischung. Auf den begrenzten Fischbeständen der Weltmeere lastet ein Nutzungsdruck wie nie zuvor. Im Laufe weniger Jahrzehnte hat sich der industrielle Fischfang von den traditionellen Fischereigebieten auf der Nordhalbkugel über alle Ozeane ausgebreitet. Die Folgen dieser Entwicklung für die Ökologie der Meere werden von der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) beobachtet und alle zwei Jahre in einem SOFIA-Report (The State of World Fisheries and Aquaculture) veröffentlicht.
Weltweit werden etwa 1500 Fischbestände kommerziell befischt, doch nur für etwas mehr als 500 von ihnen gibt es umfassende Daten. Sie stammen meist von Beständen, die seit langem industriell befischt werden, wie dem Kabeljau vor Norwegen, dessen Bestandsentwicklung seit den 1920er-Jahren dokumentiert ist. Über andere Fischarten und Meeresgebiete ist dagegen kaum etwas bekannt. Teilweise liegen keine Fangdaten vor, teilweise sind sie nicht abgesichert. Dennoch gibt es deutlich sichtbare Tendenzen, und die sind nach dem SOFIA-Report 2016 besorgniserregend. So ist der Anteil der Bestände, die als „überfischt“ oder „zusammengebrochen“ gelten, von 10 Prozent im Jahr 1974 auf 31,4 Prozent im Jahr 2014 gestiegen. Der Anteil der „voll genutzten“ Bestände erhöhte sich im selben Zeitraum von 51 auf 58,1 Prozent, der Anteil der „gemäßigt genutzten“ ging dagegen von knapp 40 auf nur noch 10,5 Prozent zurück. Trotz aller Bemühungen um Nachhaltigkeit nimmt die Überfischung der Meere auch gegenwärtig noch zu.
Dennoch liegt die jährliche Gesamtfangmenge an Fisch seit ungefähr 25 Jahren relativ konstant zwischen gut 50 und 60 Mio. Tonnen (bzw., da die FAO-Statistik auch Garnelen, Muscheln oder Tintenfische erfasst, bei etwa 80 Mio. Tonnen). Für diese quantitative Stabilität trotz Überfischung gibt es vor allem zwei Gründe. Weil die Bestände in den Küstenregionen immer mehr schrumpften, wurde die Fischerei von den klassischen Fangrevieren im Nordatlantik und Nordpazifik immer weiter nach Süden ausgedehnt. Zum anderen werden immer größere Tiefen befischt. Noch vor wenigen Jahrzehnten war es technisch kaum möglich, die Netze bis in 500 Meter Tiefe auszubringen, heute liegt die Grenze bei 2000 Metern. Die erschöpften Bestände der klassischen Zielarten konnten infolgedessen durch andere Arten ausgeglichen werden (die aufgrund ihres wenig ansprechenden Äußeren als Filets in den Handel kommen oder verkaufsfördernde Namen erhielten, wie der „Schleimkopf“, der als „Granatbarsch“ verkauft wird). Die Erträge sind dadurch statistisch stabil, ihre Zusammensetzung ist es nicht.
Die FAO teilt die Weltmeere traditionell in 19 große Fanggebiete ein. Das bedeutendste unter ihnen ist der Nordwestpazifik. 2014 wurden in dieser Region fast 22 Mio. Tonnen Fisch gefangen, mehr als ein Viertel der globalen Gesamtfangmenge. An zweiter Stelle folgte der westliche Pazifische Ozean (12,8 Mio. t.), in dem die Fangmengen seit 1970 kontinuierlich zugenommen haben, der Nordostatlantik (8,5 Mio. t.) und der östliche Indische Ozean (8,1 Mio. t.). Allein in diesen vier Gebieten wurden in den letzten Jahren mehr als 60 Prozent der weltweiten Fänge erzielt. Der östliche Pazifische Ozean und der Südostpazifik sind ebenfalls sehr produktiv, weil dort vor der Küste Südamerikas nährstoffreiche Auftriebsgebiete liegen, in denen Wasser aus der Tiefe an die Oberfläche steigt. Diese Gebiete zeichnen sich allerdings auch durch besonders heftige Bestandsschwankungen aus. Schwächt sich der Wasserauftrieb ab, zum Beispiel infolge von Klima-Anomalien wie El Niño, sorgt der Planktonmangel für einen Einbruch der Bestände, zum Beispiel 2014 in Peru und Chile.
Im mittleren Ostatlantik und im Südwestatlantik ist die Situation besonders angespannt. Mindestens die Hälfte der Bestände in diesen Gebieten ist überfischt, mehr als 40 Prozent gelten als voll genutzt, nur ein geringer Teil wird noch als gemäßigt genutzt eingestuft. Vergleichsweise positiv ist die Entwicklung dagegen im Nordostpazifik, wo vor allem Alaska-Pollack, Kabeljau und Seehecht gefangen werden. Hier gelten zwar 80 Prozent der Bestände als voll genutzt, aber nur noch 10 Prozent als überfischt; weitere 10 Prozent werden gemäßigt genutzt. Zu den Gebieten, in denen die Fangmengen im Laufe der Jahre immer mehr abgenommen haben, zählen unter anderem das Mittelmeer und das Schwarze Meer.
Wenn die Anlandungen in einem Fanggebiet schrumpfen, heißt dies nicht zwingend, dass Bestände zusammengebrochen sind. Zum Teil gehen sie zurück, weil der Fang durch Fischereimanagement beschränkt wird. Nachdem in den 1970er- und 1980er-Jahren immer mehr Bestände kollabiert waren, wurde offensichtlich, dass Überfischung nicht nur ein ökologisches, sondern auch ein ökonomisches Problem ist. Die Europäische Union und Länder wie Australien, Kanada, Neuseeland und die USA haben daraufhin Managementpläne entwickelt, die den Fang so regulieren, dass sich die Bestände reproduzieren können. Allerdings werden diese positiven Ansätze durch eine fortdauernde Überfischung in manchen Gebieten konterkariert. Im Mittelmeer sind viele Bestände massiv überfischt, auch im Golf von Biskaya werden einige Arten wie der Europäische Seehecht in viel zu hohen Mengen entnommen.
Eine Möglichkeit zur Entlastung bietet die Fischerzeugung in Aquakulturen, die in den letzten Jahrzehnten rasant zugenommen hat. In der Boomphase der Hochseefischerei in den 1970er-Jahren war der Anteil von Aquakulturen an der Fischerzeugung noch marginal. In den 1980er-Jahren wuchs dieser Wirtschaftszweig zunächst langsam, doch ab den 1990er-Jahren verzeichnete er ein ebenso rasantes wie kontinuierliches Wachstum. 2014 wurden weltweit annähernd 74 Mio. Tonnen Meeresfrüchte erzeugt, mehr als dreimal so viel wie 1995 (24 Mio. t). Produziert wird vor allem Fisch (50 Mio. t), gefolgt von Muscheln (16 Mio. t), Krustentieren (7 Mio. t) und anderer Wasserlebewesen (7 Mio. t) einschließlich Fröschen. Mit großem Abstand führend bei Aquakulturen ist Asien (insbesondere China) mit einem Anteil von fast 89 Prozent an der Weltproduktion. Europa trägt etwa 4 Prozent zur Weltproduktion bei.

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