Tokio - Megalopolis

Asien - Japan - Städtewachstum
978-3-14-100803-6 | Seite 192 | Abb. 1| Maßstab 1 : 500000

Überblick

Tokio (Tôkyô) ist gegenwärtig und auch auf absehbare Zeit die mit Abstand größte urbane Agglomeration der Welt – vorausgesetzt, man versteht darunter die gesamte dem Ballungskern funktional zugeordnete Stadtregion. Die eigentliche Stadt Tokio mit ihren 23 Stadtbezirken zählt über 9,1 Mio. Einwohner, in der Präfektur Tokio leben gut 13,4 Mio. Menschen. (Präfekturen sind in Japan die mittlere administrative Ebene zwischen dem japanischen Staat und den einzelnen Gemeinden.) In der Metropolregion Tokio lebt mit 37,5 Mio. Menschen knapp ein Drittel der gesamten japanischen Bevölkerung (Stand jeweils 2014). Vergleicht man die Metropolregion Tokio mit Deutschland, so bedeutet dies, dass knapp die Hälfte der Bevölkerung Deutschlands auf einer Fläche lebt, die nur zwei Drittel so groß ist wie Hessen.

Entwicklung zur „Global City“

Tokio ist heute konkurrenzlos das politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum Japans, zudem eine der Global Cities (s. 270.2). Mehr als 60 Prozent der in Japan vertretenen ausländischen Banken und mehr als 80 Prozent der in Japan vertretenen ausländischen Unternehmen haben ihren Sitz in der Metropolregion. Die Weltstadt ist mit ihrem brodelnden Leben und Treiben zum Sinnbild des stürmischen wirtschaftlichen Aufstiegs von Japan geworden. Die Wirtschaftsstruktur der Metropolregion Tokio ist auffallend stark diversifiziert, gerade auch im industriellen Bereich.

Das Bevölkerungswachstum in der Metropolregion Tokio verlief im Zuge des wirtschaftlichen Aufstiegs Japans nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis Mitte der 1970er-Jahre außerordentlich dynamisch, danach war es zwar weniger rasant, aber immer noch eindrucksvoll. Gegenwärtig und in naher Zukunft nimmt die Bevölkerung in der Metropolregion weiter zu – vor allem durch Zuwanderung –, in der Stadt Tokio wächst sie nur geringfügig und liegt nicht wesentlich über dem Niveau, das bereits 1960 erreicht wurde (s. Diagramm). Mit einer Fertilitätsrate kleiner als eins ist Tokio eine der kinderärmsten Städte Japans; die Bevölkerungspyramide der Stadt zeigt vergleichsweise sehr geringe Stärken der Jahrgänge bei den unter 20-Jährigen.

In der Karte spiegelt sich das Bevölkerungswachstum nach 1950 in einem starken Wachstum der bebauten Flächen, vor allem ringförmig um das Stadtzentrum, entlang der Verkehrsachsen und an den Küsten. Die Schwerpunktringe des Wachstums verlagerten sich mit der Zeit vom Ballungskern in die Peripherie der Metropole, seit den 1980er-Jahren vor allem in den 40 bis 50 Kilometer entfernten Außenbereich. Die Verstädterung hat zu einem Siedlungsbild geführt, das an die Umrisse von Fingern an einer Hand erinnert. Sie zeigen Linien in etwa gleicher Bodenpreise und Pendelzeiten (s. Karte; 1-Stunden-Isochrone der Erreichbarkeit der City). Die Bevölkerungsdichte nimmt in der Metropolregion – großräumig gesehen – zentrifugal ab; eine Ausnahme bildet die von Dienstleistungsstandorten dominierte City mit einem geringen Anteil an Wohngebäuden.

Ein Spinnennetz moderner schienengebundener Verkehrsmittel, deren Trassen vom Zentrum und von der Ringbahn Tokios ausgehen, markiert die Leitlinien des Pendelverkehrs, der Bodenpreisspitzen und der Verstädterung. Für die Umlandbevölkerung bemisst sich die Attraktivität ihrer Wohnlage in erster Linie an der schnellen Erreichbarkeit der Zentrumsbereiche Tokios. Wichtiger Indikator ist dabei die Nähe der Wohnung zu einem Bahnhof. Je schneller von diesem Bahnhof das Stadtzentrum erreicht werden kann, desto höher sind die Bodenpreise in seinem Einzugsgebiet.

Pendlerbeziehungen und Handlungsstrategien

Jeder urbane Agglomerationsraum weist neben einer Fülle von Ballungsvorteilen auch Ballungsnachteile auf. Besonders gravierend sind in Tokio das Erdbebenrisiko (s. 242.3, 252/253) und die Pendlerproblematik. Hohe städtische Bodenpreise – Ausdruck positiver Urbanisationseffekte – bestimmen die City und die daran angrenzenden Stadtteile, aus denen die Wohnfunktion im Zuge expandierender Tertiärisierung in die Außengebiete verdrängt wird. Steigende Nachfrage nach möglichst stadtnahen Wohnungen lässt die Bodenpreise in Richtung Peripherie nur leicht abfallen. Die Folge sind lange Pendelzeiten für Millionen Menschen, die in den Außenzonen der Metropole wohnen und in der Innenstadt arbeiten. Gegenwärtig verzeichnen die 23 Stadtbezirke täglich 3,1 Mio. Einpendler. Die meisten Personen pendeln aus einem Umkreis von bis zu 40 Kilometern ein.

Die gelben Kreise in der Karte verdeutlichen das Ausmaß der sich täglich wiederholenden Pendlerbewegungen. An der Spitze der Städte, aus denen mehr als 5000 Personen in das Stadtzentrum einpendeln, stehen Yokohama (3,7 Mio. Einwohner) und Saitama (1,3 Mio. Einwohner) mit mehr als 200 000 Auspendlern pro Tag, es folgen acht Städte mit knapp 100 000 bis 200 000 Auspendlern pro Tag, zum Beispiel Kawasaki (1,5 Mio. Einwohner), Chiba (1,0 Mio. Einwohner) und Fujisawa (0,4 Mio. Einwohner). Die genannten Großstädte sind zugleich auch Einpendlerzentren und damit potenzielle Entlastungszentren für Tokio.

Die Förderung einer polyzentrischen Siedlungsstruktur in der Hauptstadtregion ist aber schwierig, zu stark ist die Sogkraft der City.

Zur Neulandgewinnung

Aufgrund des Mangels an Bauflächen und wegen der hohen Bodenpreise wächst Tokio immer weiter ins Meer hinaus. Seit 1950 schieben sich inzwischen von allen Seiten aus riesige Hafen- und Industrieanlagen, vermehrt auch Siedlungsflächen und Freizeiteinrichtungen in die 75 Kilometer lange, 20 Kilometer breite und bis zu 700 Meter tiefe Bucht von Tokio hinein. Die Stahlerzeugung, die chemische Industrie und die Wärmekraftwerke befinden sich heute hafennah auf aufgeschüttetem Neuland. Standortvorteil dort ist vor allem der einfache Bezug von importierten Rohstoffen (267.3). Auch die Standorte des Schiffbaus liegen an der Küste.

Die Häfen der Bucht von Tokio werden mit dem gemeinsamen Namen Keihin Ports bezeichnet; nach dem Containerumschlag belegte dieser Hafen weltweit Platz 18. Räumlicher Schwerpunkt ist Yokohama, dies hat naturräumliche und historische Gründe (s. Kommentar zur Karte 192.2).

Betriebe, für die die Nähe zum Hafen nicht so entscheidend ist (Elektrotechnik/Elektronik, Feinmechanik, Optik, Maschinen- und Fahrzeugbau), finden sich im gesamten Stadtgebiet. Außerhalb des schmalen Küstenstreifens liegt die Industrie sogar relativ gleichmäßig verteilt, sodass innerhalb des überbauten Stadtgebietes eine Mischung der Funktionen auffällt.

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