Südosteuropa, Türkei, Kaukasus - Wirtschaft

Europa - Südosteuropa, Türkei, Kaukasus - Wirtschaft
978-3-14-100800-5 | Seite 142 | Abb. 1| Maßstab 1 : 6000000

Überblick

Die Länder der Region befinden sich gegenwärtig in sehr unterschiedlichen sozioökonomischen Situationen. Zahlreiche Konfliktherde und die Nähe zu den Krisenregionen Westasiens (Irakkrieg, Bürgerkrieg in Syrien) belasten die Beziehungen zwischen den Staaten und hemmen nicht zuletzt auch die wirtschaftliche Entwicklung.

In Südosteuropa verlaufen Grenzlinien zwischen dem integrierten europäischen Wirtschaftsraum mit den EU-Mitgliedern Griechenland, Bulgarien, Rumänien und Kroatien einerseits und den Nachfolgestaaten Jugoslawiens, Albanien und Moldawien andererseits. Zum Teil hat die EU hier ihre Außengrenzen stark befestigt, um Flüchtlingsströme zu verhindern (s. 103.3). Ungeachtet der Zugehörigkeit zur EU bestehen auch in Griechenland, Bulgarien, Rumänien und Kroatien wirtschaftliche Strukturprobleme, wenn auch mit unterschiedlichen Ursachen (Schuldenkrise bzw. Transformation).

Die Türkei ist durch eine Mittlerstellung zwischen der westlich geprägten EU und der arabischen Welt zu charakterisieren. Sie nimmt mit ihrer kontinuierlichen wirtschaftlichen Entwicklung innerhalb der Region eine Sonderstellung ein, wird allerdings in jüngster Zeit von tiefgreifenden innenpolitischen Konflikten geschüttelt.

Die früheren Sowjetrepubliken Ukraine, Georgien, Aserbaidschan und Armenien ringen um eine eigenständige Entwicklung und Perspektive in unmittelbarer Nachbarschaft zur Großmacht Russland. Territoriale Konflikte und kriegerische Auseinandersetzungen flackern immer wieder auf, seit 2014 vor allem in der Ukraine. Besonders die Kaukasusregion ist zum Spielball geopolitischer Machtinteressen und Auseinandersetzungen. Diese Situation wird verstärkt durch die Energiereserven am Kaspischen Meer, die Begehrlichkeiten und wirtschaftliche Interessen wecken.

Zypern ist ein Beispiel für politische Zerstückelung: Nationalitätenkonflikte führten hier in Verbindung mit dem Eingreifen regionaler Mächte zu einer anhaltenden Teilung der Insel.

Naturräumliche Ausstattung, Bergbau und landwirtschaftliche Nutzung

Der Naturraum lässt sich in vier große Einheiten gliedern:

• Mittig liegt, in West-Ost-Richtung verlaufend, ein Band aus Gebirgen und Hochländern, in das wenige Beckenlandschaften eingelagert sind. Das Ägäische Meer mit seinen zahlreichen Inseln, das Marmarameer und der Bosporus unterbrechen dieses Gebirgsband. Der geologische Bau und das Relief bedingen Naturrisiken (Erdbeben) und erschweren die Erschließung für den Verkehr. Landwirtschaftliche Gunsträume sind hier vor allem die Becken, die schmalen Küstenebenen und die Täler der größeren Flüsse. Bei bestimmten Erzeugnissen (Haselnüsse) stammt ein Großteil der Weltproduktion aus der Region.

• Im Norden der Gebirgsbandes erstrecken sich die osteuropäischen Ebenen. Ausreichend hohe Niederschläge und fruchtbare Böden machen sie zu einemlandwirtschaftlichen Gunstraum (großflächiger Anbau von Weizen, Mais und Sonnenblumen, regional auch Sonderkulturen wie Wein und Tabak; s. 145.4).

• Im Süden des Gebirgsbandes schließt sich die Zone des „Fruchtbaren Halbmonds“ an. Sie markiert den Übergang zu den Wüsten der Arabischen Halbinsel. Wo es ausreichend Wasser gibt – am Fuß der Gebirge und in den Flussoasen von Euphrat und Tigris – ist eine produktive Bewässerungslandwirtschaft möglich (Anbau von Baumwolle, Getreide, Zitrusfrüchten und Dattelpalmen; s. 141.3–6). Außerhalb dieser Gebiete wird Wasser immer mehr zum limitierenden Faktor der Landwirtschaft.

• Die östlichen Nebenmeere des Mittelmeers und das Schwarze Meer schieben sich bis zum Asowschen Meer weit in die eurasischen Kontinentalmassen vor, doch besteht eine deutliche Abseitslage zu den offenen Weltmeeren (Atlantischer und Indischer Ozean). Schiffbare Großflüsse sind die Donau und die nördlichen Zuflüsse des Schwarzen Meers (Dnipro, Don).

Die gesamte Region ist reich an Rohstoffen. Erdöl und Erdgas werden vor allem in der Kaukasusregion, am Kaspischen Meer, in Syrien und im Irak gefördert und überwiegend exportiert. Die Steinkohle- und Erzlagerstätten in der Ukraine bilden die Basis der dortigen Montanindustrie. Braunkohle ist in vielen Ländern eine wichtige Säule der nationalen Energieversorgung (Bulgarien, Türkei, Serbien). Das Spektrum bei Metallerzen ist breit und reicht von Bauxit über Stahlveredler, Blei, Zink und Kupfer bis zu Gold. Zwar werden keine Fördermengen erreicht, die große Weltmarktanteile ermöglichen, dennoch ist die volkswirtschaftliche Bedeutung des Erzbergbaus erheblich.

Industrie und Dienstleistungen

Von den Fördergebieten von Erdöl und Erdgas aus erstreckt sich ein dichtes Netz großer Pipelines, die zum Teil direkt zu den Abnehmern verlaufen (Ukraine, Europa, Türkei), zum Teil in Häfen am Mittelmeer oder am Schwarzen Meer enden (Adana, Tartus, Tripolis, Supsa). Diese Strukturen bestimmen das Standortnetz der Raffinerien und der chemischen Industrie. Einnahmen aus dem Export von Erdöl und Erdgas prägen in vielen Förderländern die Wirtschaftsstrukturen und finanzieren den Staatshaushalt zu großen Anteilen (Exportanteil Aserbaidschan: 87 % Rohöl, Erdgas). Diese Monostruktur kann zum Beispiel bei Preisstürzen auf dem Weltmarkt zu ernsten wirtschaftlichen Problemen führen.

Die Türkei ist das wirtschaftlich stärkste und stabilste Land der Region. Die Industrie- und Dienstleistungsstandorte konzentrieren sich auf die großen Küstenstädte im Westen des Landes, auf Ankara und die Region um Adana am Mittelmeer. Neben Industriebranchen auf niedrigem Technologieniveau (wie der leistungsstarken Textilindustrie) treten zunehmend Betriebe auf mittlerem bis hohem Technologieniveau (Konsumgüterindustrie, Produktionsstätten ausländischer Autobauer, Flugzeugbau, Elektronik). In der Schwarzmeerregion und in Anatolien ist der Anteil der Landwirtschaft an der Wirtschaftsleistung relativ hoch, in der Region um Antalya ist der Tourismus die Leitbranche. Der Südosten erhält durch das GAP-Projekt seit Jahrzehnten starke wirtschaftliche Entwicklungsimpulse (s. 141.6), hier liegt ein Zentrum der türkischen Textilindustrie.

Istanbul ist das Dienstleistungszentrum des Landes: 11 der 15 größten türkischen Unternehmen haben hier ihren Sitz, darunter sind der marktbeherrschende Telekommunikationsanbieter Turkcell, zwei Großbanken, Turkish Airlines und das größte Bauunternehmen der Türkei. Die Türkei unternimmt massive Anstrengungen, um die Abhängigkeit von Energieimporten zu verringern, die derzeit die Handelsbilanz belasten.

Die Ukraine ist hinsichtlich der Roheisenerzeugung Brasilien, den USA und Deutschland vergleichbar und der fünftgrößter Exporteur von Stahlerzeugnissen weltweit. Zwar ging die Produktion im Zuge der Transformation nach 1990 zunächst zurück, konnte aber nach 2000 stabilisiert werden und nahm bis zum Krieg in der Ostukraine 2014 wieder zu.

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