Ruhrgebiet - Wasserwirtschaft

Deutschland - Ballungsraum Rhein-Ruhr - Strukturwandel
978-3-14-100800-5 | Seite 41 | Abb. 4| Maßstab 1 : 750000

Überblick

Wasserverbrauch und Abwasseranfall sind im dicht besiedelten Ruhrgebiet je Flächeneinheit etwa siebenmal so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Dennoch verfügt die Region mit der Ruhr und ihren Nebenflüssen (Lenne, Volme, Möhne, Wenne usw.), die im niederschlagsreichen Sauerland und Rothaargebirge entspringen (vgl. 54.1), über genügend natürliche Wasserläufe, aus denen bei einer mittleren jährlichen Abflussmenge von 2470 Mio. Kubikmetern etwa 700 bis 1400 Mio. Kubikmeter Trinkwasser guter Qualität bereitgestellt werden können. Damit ist nicht nur die Versorgung von mehr als zwei Millionen Einwohnern der Ruhrzone gesichert, sondern auch diejenige großer Teile der Emscherzone und einiger Teile der Lippezone.

Entstehung der Wasserwirtschaft

Um allerdings die heutige Versorgungssicherheit zu erreichen, musste erst das Problem der unregelmäßigen Wasserführung der Ruhr mit ihren Schwankungen zwischen 5 Kubikmetern pro Sekunde in trockenen Sommern und bis zu 2000 Kubikmetern pro Sekunde bei Frühjahrshochwassern überwunden werden. Diese Schwankungen hatten in der vorindustriellen Epoche kaum je bedrohliche Ausmaße erreicht, weil die Einwohnerdichte in der agrarisch geprägten Region dünn gewesen war. Dies änderte sich schlagartig im Zuge der Industrialisierung und der raschen Bevölkerungszunahme.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kam es im Einzugsgebiet der Ruhr erstmals in mehreren aufeinander folgenden Jahren zu akuten Wasserkrisen. Aufgrund der sehr hohen Wasserentnahme durch Bergwerke, Wasserwerke und die Schwerindustrie waren die Ruhr und ihre Nebenflüsse nicht mehr in der Lage, die Region ausreichend mit Wasser zu versorgen. In einigen warmen Sommern konnte man das Flussbett bereits trockenen Fußes durchqueren. Die Wupper und die Lippe waren wegen industrieller Verschmutzung und Versalzung für die Trinkwasserentnahme kaum geeignet, noch weit schlimmer war der Zustand der Emscher, eines ursprünglich artenreichen Nebenflusses des Rheins, den man dazu bestimmt hatte, als „Cloaca maxima“ des Ruhrgebiets Abwässer aus den Industrierevieren aufzunehmen (vgl. 73.4). Verschärft wurde die Wasserkrise dadurch, dass der Grundwasserspiegel infolge des Kohleabbaus weiter sank.

Angesichts der drängenden Versorgungsprobleme entschloss sich der Stadtrat von Remscheid im Frühjahr 1889, eine Talsperre zu bauen, die nicht landwirtschaftlichen oder bergbaulichen Zwecken, sondern – als erste ihrer Art – ausschließlich der Trinkwasserversorgung dienen sollte. Die Eschbachtalsperre, Ende 1891 vollendet, leitete in Deutschland ein Zeitalter des Talsperrenbaus ein: Sie wurde zum Vorbild zahlreicher Talsperren, die in der Nähe der boomenden Industriezentren entstanden, um die Wasserversorgung der wachsenden Bevölkerung sicherzustellen.

Ab 1899 schlossen sich auch an der Ruhr mehrere Wasserwerke zusammen, um Talsperren zu errichten. Die beeindruckendste unter diesen Anlagen war die Möhnetalsperre, die 1908 begonnen und 1913 im Beisein des deutschen Kaisers mit einem Festprogramm eröffnet wurde. Im selben Jahr veranlasste die Reichsregierung die Gründung des Ruhrtalsperrenvereins und des Ruhrverbandes. Der Ruhrverband betreibt heute acht Talsperren, die größten unter ihnen sind die Möhne-, die Bigge- und die Sorpetalsperre; Letztere galt bei ihrer Inbetriebnahme 1935 als die höchste Talsperre Deutschlands. Überdies sorgt der Ruhrverband für die Reinhaltung der Ruhr – inzwischen als „sauberster Industriefluss Europas“ apostrophiert – durch die Unterhaltung von 69 Kläranlagen und fünf Ruhrstauseen: dem Hengstey- und dem Harkortsee südlich von Dortmund (eingestaut 1929 bzw. 1931), dem Baldeney- und dem Kettwiger See (1933 bzw. 1950) im Essener Süden sowie dem Kemnader See (1979) südlich von Bochum. Mitglieder des Verbandes sind kommunale wie gewerbliche Wasserwerke und alle Unternehmen, die pro Jahr mehr als 30 000 Kubikmeter Wasser entnehmen.

Funktion der Stauseen

Die Stauseen in der Ruhrregion dienen primär als Sedimentierbecken zur Reinigung des Fluss- und Regenwassers. Allein der Baldeneysee hält jährlich mehrere zehntausend Tonnen Schlamm zurück. Weil sich das Volumen der Seen durch die Ablagerung von Sedimenten immer mehr verringert, müssen sie im Abstand mehrerer Jahrzehnte ausgebaggert werden, um ihre Verlandung zu verhindern. So wurden dem Harkortsee zwischen 1999 und 2003 im Zuge einer umfangreichen Sedimenträumung mehr als 450 000 Kubikmeter Ablagerungen entnommen.

Neben ihrer Filterfunktion dienen die Stauseen der Energiegewinnung. Erste Überlegungen zur Ausnutzung der Wasserkraft durch den damaligen Ruhrtalsperrenverein datieren auf das Jahr 1905, das erste Wasserkraftwerk an der Listertalsperre ging 1913 in Betrieb, weitere folgten. Heute betreibt der Ruhrverband über sein Tochterunternehmen Lister- und Lennekraftwerke GmbH, benannt nach den ersten Kraftwerken an den Flüssen Lister und Lenne, 15 Wasserkraftwerke mit einer installierten Leistung von rund 40 Megawatt. Die durchschnittliche Jahreserzeugung beträgt 92 Mio. Kilowattstunden, was dem Strombedarf von etwa 30 000 Haushalten entspricht.

Darüber hinaus haben die Stauseen einen hohen Naherholungswert für die dicht besiedelte Region, weil sie den Anwohnern auf dem Wasser und in den Uferzonen eine Vielzahl von Freizeitaktivitäten ermöglichen. Überdies sind sie auch ökologisch von Bedeutung, beispielsweise dienen sie vielen Vogelarten als Brutstätte oder Rastgebiet.

Gewässerreinigung und Qualitätskontrolle

Im Ruhreinzugsgebiet fallen täglich die Abwässer von rund 2,1 Mio. Menschen aus privaten Haushalten und gewerblichen Betrieben an, die ganz unterschiedliche Grade der Verunreinigung aufweisen, von leichten Verschmutzungen über Fäkalien bis zu Reststoffen aus der Industrie. Weil derart verunreinigte Abwässer nicht in die Flüsse gelangen dürfen, werden sie durch die Kanalnetze der Gemeinden in die knapp 70 Kläranlagen des Ruhrverbands abgeleitet, die so dimensioniert sind, dass ihre Reinigungsleistung auch für 3,2 Mio. Anwohner ausreichen würden. In den Kläranlagen erfolgt eine intensive mechanische und biologische Reinigung der Abwässer. In mehreren Reinigungsstufen werden hier zunächst die festen Abwasserinhaltsstoffe mechanisch herausgefiltert und anschließend auch die gelöste Inhaltsstoffe entfernt, bevor das gereinigte Wasser wieder dem Gewässer zugeleitet wird. In Einzelfällen kann es aus Gewässerschutzgründen zu höheren Reinigungsanforderungen kommen, sodass Kläranlagen noch mit einer weitergehenden Reinigungsstufe ausgerüstet sind. Weil die Reinigungsleistung der Kläranlagen durch extreme Niederschläge beeinträchtigt werden könnte, betreibt der Ruhrverband zu Vermeidung von Spitzenbelastungen etwa 550 Regenüberlauf- und Rückhaltebecken.

Da die Ruhr in ihrer Doppelfunktion als Trinkwasserfluss und Abwasservorfluter eine Schlüsselrolle in der Wasserwirtschaft des Ruhrgebiets spielt, muss die Gewässergüte beständig kontrolliert werden. Zur Beurteilung der chemischen und hydrobiologischen Qualität des Wassers werden regelmäßig an rund 30 Stellen und in unregelmäßigen Abständen auch an Nebenflüssen Proben entnommen. Die Überwachungsstationen dienen dem Zweck, etwaige Verunreinigungen zeitnah zu erfassen, um Ursachen zu ermitteln, Gegenmaßnahmen einzuleiten und gegebenenfalls betroffene Wasserwerke zu warnen.

Altlasten aus dem Tagebau

Ein besondere Schwierigkeit vor allem im nördlichen Ruhrgebiet sind die durch den Bergbau verursachten Senkungen von stellenweise mehr als 20 Metern, durch die der natürliche Abfluss erheblich gestört wird. Rund 38 Prozent der Emscherregion sind künstliche Poldergebiete, weil der Fluss in einigen Abschnitten meterhoch über dem Niveau seiner Umgebung liegt. Aus diesem Grund müssen etwa 100 Entwässerungspumpwerke und 6 Abwasserpumpwerke die gesamte Fläche permanent entwässern und dafür Sorge tragen, dass die kommunalen und industriellen Abwässer überhaupt abfließen können. In der Summe werden jährlich etwa 600 Mio. Kubikmeter Wasser aus den Senkungsgebieten der Emscher- und Lipperegion gepumpt, eine Menge die ausreichen würde, den Essener Baldeney-Stausee etwa 70-mal zu füllen.

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