Reformation in Europa um 1570

Europa - Europa - Neuzeit
978-3-14-100770-1 | Seite 90 | Abb. 1| Maßstab 1 : 24000000

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Nach der traditionellen Geschichtsschreibung wird der Beginn der Neuzeit vor allem durch zwei epochale Ereignisse markiert: die Entdeckung Amerikas 1492 und Luthers Thesenanschlag 1517. Beide stellen eine Zäsur in der Geschichte dar, weil sie die räumlichen und geistigen Grenzen des mittelalterlichen Abendlandes niederrissen. Und doch waren beide nicht nur Auslöser, sondern auch Resultate großer Veränderungen. Die Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen 1453 beendete die Geschichte des Byzantinischen Reiches. Die Sperrung der Landwege im Indienhandel weckte den Wunsch nach einem sicheren Seeweg nach Indien, den zu finden sich Kolumbus Richtung Westen auf den Weg machte. Zugleich lässt sich vermuten, dass die Schriften Luthers nicht annähernd solche Wirkung erzielt hätten, wenn nicht Johannes Gutenberg 1450 den Buchdruck mit beweglichen Metalllettern erfunden hätte.

Verbreitung der Reformation
Etwa ein Vierteljahrhundert nach Luthers Tod hing noch ein großer Teil Europas der katholischen Glaubenslehre an, dennoch hatte die Reformation eine schnelle Verbreitung gefunden. Für den Protestantismus gewonnen wurden die skandinavischen Länder, das Baltikum und Teile des Königreichs Ungarn. In Böhmen gab es zahlreiche Hussiten, die sich im 16. Jahrhundert teils den Reformierten, teils den Lutheranern anschlossen. Von den deutschen Territorien bekannten sich u. a. Schlesien, Württemberg, Ansbach, Hessen, Sachsen, Brandenburg, Pommern und Preußen zum Luthertum. In großen Teilen der schweizerischen Eidgenossenschaft, entlang dem Mittelrhein, in der Republik der Vereinigten Niederlande und in Schottland setzten sich Zwinglianer und Calvinisten durch, die auch in anderen Ländern Glaubensgemeinschaften begründeten (Hugenotten in Frankreich). Eine andere reformatorische Gruppe war die der Täufer, die eine Erneuerung des Glaubens allein aus dem Geist und Wort der Schrift erstrebte. Die anglikanische Kirche in England war aus dem Bruch König Heinrichs VIII. mit Rom hervorgegangen. Abgesehen von der Verwerfung des Papsttums und der Auflösung der Klöster blieb sie zunächst in ihrer Liturgie dem Katholizismus treu. Erst unter Eduard VI. (1547−1553) kam es zu Reformen im calvinistischen Sinne. Die Waldenser, Mitglieder einer im 12. Jahrhundert gegründeten Reformbewegung, teilten Grundsätze des Protestantismus und wurden als Ketzer verfolgt.

Luther und der Protestantismus
Martin Luther war, als er 1517 seine 95 Thesen veröffentlichte, weit davon entfernt, eine neue Glaubensgemeinschaft gründen zu wollen. Vielmehr war er überzeugt, dass sein Versuch, die Kirche von Missbräuchen und Irrtümern zu reinigen, von den offiziellen kirchlichen Instanzen gutgeheißen werde. Der Papst reagierte allerdings mit der Androhung des Kirchenbanns. Luther antwortete mit der öffentlichen Verbrennung der Bannandrohungsbulle.
Unter Zusicherung freien Geleits wurde Luther vor den Reichstag geladen, wo er den Widerruf verweigerte. Kaiser Karl V. verhängte über Luther die Reichsacht und ließ 1521 seine Lehre verbieten. Der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise versteckte Luther auf der Wartburg, wo dieser mit der Bibelübersetzung begann. Vielen Reichsfürsten kam die neue Lehre nicht ungelegen, denn sie erlaubte, sich Kirchenbesitz anzueignen und sich dem Einfluss von Kaiser und Papst zu entziehen. Wo sich die neue Lehre aber mit sozialen Forderungen verband (Bauernkrieg 1524/25), wurde sie von den evangelischen Fürsten wie von Luther mit aller Härte bekämpft.
Als Karl auf dem Reichstag zu Speyer von 1529 den Versuch unternahm, die Einheit des Glaubens zu erzwingen, reichten die evangelischen Fürsten eine Protestation ein, die ihnen den Titel Protestanten eintrug. Als der Kaiser daraufhin ankündigte, die neue Lehre auszurotten, schlossen sie sich 1531 im Schmalkaldischen Bund zusammen. Der Konflikt eskalierte 1546 im Schmalkaldischen Krieg. Er endete mit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555, der allen Reichsständen eine freie Wahl des lutherischen oder katholischen Bekenntnisses garantierte.
K. Lückemeier, E. Astor

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