Nordsee - Wattenküste

Deutschland - Norddeutschland - Küstenlandschaften und Küstenschutz
978-3-14-100800-5 | Seite 32 | Abb. 1| Maßstab 1 : 500000

Überblick

Die Küstenlandschaften an der Nordsee sind das Resultat glazialer Prozesse und einer postglazialen, teilweise marinen Überformung. Da die Nordsee ein Randmeer des Atlantischen Ozeans ist, prägen Gezeiten ihre Küsten. Dies äußert sich in sehr dynamischen landschaftsformenden Prozessen – die Küstenlinie befand sich ursprünglich in ständiger Veränderung.

Erst anthropogene Einflüsse – vor allem Besiedlung, wirtschaftliche Nutzung, Landgewinnung und Küstenschutz – gaben den Küstenlandschaften an der Nordsee ihren heutigen Charakter. In den letzten Jahrzehnten hat der Natur- und Umweltschutz einen hohen Stellenwert erhalten, dies äußert sich in der Ausweisung großflächiger Schutzgebiete.

Marsch und Geest

Das Hinterland der Nordseeküste wird durch den Gegensatz zwischen der Marsch im Westen und der Geest im Osten gegliedert. Die Grenze zwischen beiden Landschaftsformen entspricht der historischen Küstenlinie von Nordfriesland. An ihr lässt sich die gesamte nacheiszeitliche Entwicklung rekonstruieren: Die Geest ist eine ursprünglich festländische, aus Gletscherablagerungen gebildete Landschaft. Das Vordringen des Meeres bis zum heutigen Geestrand und der darauf folgende Rückzug des Meeres ermöglichten die Ablagerung von Meeressedimenten im Gebiet der heutigen Marsch. Im Bereich der heutigen Festlandsküste konzentrieren sich die Maßnahmen zum Küstenschutz. Westlich der Festlandsküste verläuft eine zweite, unterbrochene Küstenlinie aus Geest, Marschinseln und Halligen. Der Bereich zwischen beiden Küstenlinien wird durch die Gezeiten geprägt, dort liegen Sandbänke, Watt und Priele.

Glaziale Vorgänge

Das von Skandinavien nach Süden und Südwesten vorstoßende Inlandeis schürfte während der vorletzten Eiszeit (der Saaleeiszeit) ein relativ flaches Becken aus und hinterließ im Gebiet des Kartenausschnitts eine Grundmoränenlandschaft. Die nachfolgende Zwischenwarmzeit füllte dieses Becken mit Wasser, wodurch ein der heutigen Nordsee vergleichbares Randmeer des Atlantischen Ozeans entstand. Während der letzten Eiszeit kam es wieder zur Meeresspiegelabsenkung und zur isostatischen Hebung des Nordseeraumes. Eine von England bis zur Nordspitze Jütlands reichende Festlandsbrücke bildete sich aus. Lediglich in den Randbereichen des weichseleiszeitlichen Inlandeises (entlang der Ostseeküste) kam es zur Ausbildung junger Endmoränen und zu einer Bedeckung mit Schmelzwassersanden. Die zwischenzeitlich durch Verwitterung und Erosion abgeflachten und ausgewaschenen Altmoränen der Saaleeiszeit werden im Gegensatz zu den höheren, reliefreichen Jungmoränen als Geest bezeichnet.

Postglaziale Vorgänge

Das Abschmelzen des Inlandeises führte vor etwa 12 000 Jahren zu einem langsamen (eustatischen) Meeresspiegelanstieg, der – bei gleichzeitiger (isostatischer) Landhebung des vom Eis befreiten Skandinaviens – im Nordseeraum durch eine Landsenkung begleitet wurde. In Nordfriesland trat die Hauptwirkung dieser Transgression erst ab 5000 v. Chr. auf. Das flache Relief begünstigte die Ablagerung tonhaltiger Meeressedimente innerhalb des regelmäßig trockenfallenden Wattgebietes. Kurzzeitige Regressionsphasen und Änderungen der Strömungsverhältnisse ließen daraus die Marsch entstehen, eine flache, baumlose Landschaft etwa auf Meeresspiegelniveau.

Um 550 n. Chr. erfolgte eine weitere Transgression, welche die damals vier Kilometer westlich vom heutigen Sylt liegende Küste bis zur heutigen Lage zurückverlegte. Die heutige 10-m-Tiefenlinie (in der Karte durch die Grenze zwischen den beiden Blautönen markiert) zeigt den Küstenverlauf der damaligen Zeit. Auch die höher gelegenen Marschflächen wurden nun zu Inseln. Sturmfluten zerstörten letztlich auch diese. Gleichzeitig mit dem Küstenabbruch und dem Landverlust kam es anderswo, z.B. um Niebüll, zur Anlandung des abgebauten Materials. Entlang der Sylter Küste erfolgte eine Strandwall- und Hakenbildung.

Anthropogene Umformung

Unter menschlichem Einfluss wurden Marsch und Geest im Laufe der Zeit zu einem dicht besiedelten Gebiet. Aufgrund der Überschwemmungsgefahr, aber auch, um die landwirtschaftliche Nutzfläche optimal ausnutzen zu können, lagen die Siedlungen meist am Geestrand. Die Marsch dient bis heute vorwiegend der Viehzucht, auf guten Böden erfolgt Ackerbau. Die Geest ist im Vergleich zur Marsch durch geringwertigere Böden gekennzeichnet und hat ein geringeres landwirtschaftliches Potenzial.

In der Marsch sicherten zunächst Wurtensiedlungen, die ersten Bauwerke des Küstenschutzes, dann in Höhe und Profil ständig verbesserte Deiche Menschen und Land. Die spätere Eindeichung des Vorlandes schuf Neulandflächen und sicherte die alten Deichanlagen (s. 32.3). Obwohl keine Gelder mehr für die Neulandgewinnung zu primär landwirtschaftlichen Zwecken ausgegeben werden, wird diese als Küstensicherung fortgeführt. Die damit verbundene Deichverkürzung schränkt allerdings den Überflutungsraum und damit auch den Stoffumsatz im Ökosystem Watt räumlich stark ein. Eine negative Folge ist zum Beispiel das knappere Nahrungsangebot für Zugvögel. Auch der Tidenhub wird dadurch größer, was vermehrt Gefährdungen durch Fluten mit sich bringt.

Der gegenwärtige Meeresspiegelanstieg von etwa 1,5 Millimeter pro Jahr als Folge der Klimaerwärmung ist vor allem bei Springtiden und Stürmen Ursache einer stetigen Gefährdung von Inseln und Festland, nicht zuletzt wegen des flachen Reliefs der Landschaft und der geringen Höhenlage über dem Meer. Diese Konstellation verstärkt die Notwendigkeit des Küstenschutzes.

Bedeutung als Wirtschaftsraum erlangt die Wattenküste vor allem an Stellen, an denen das Meer durch Abtragung der Geest Sandstrände bilden kann bzw. verfrachteter Sand zur Ablagerung kommt (Tourismus), wo Tiefwasserzonen bestehen (Häfen), Rohstoffe gefördert werden (Erdöl) oder günstige Voraussetzungen für Windparke bestehen (an Land bzw. vor der Küste). Die Inseln Sylt und Amrum, aber auch Festlandsorte wie St. Peter-Ording sind Zentren des Tourismus, der ein wirtschaftliches Standbein der Region ist.

Als Ökosystem hat das Wattenmeer eine große Bedeutung für den Vogelzug, als Laichgrund für viele Fischarten und wegen seines hohen Stoffumsatzes als Klärbecken der Nordsee. Wichtigstes Instrument des Naturschutzes (s. 32.2) sind die Nationalparks im Wattenmeer. Sie sind heute insbesondere für den Tourismus von hoher wirtschaftlicher Bedeutung.

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