Mittelsibirien - Wirtschaft

Asien - Russland / Zentralasien
978-3-14-100770-1 | Seite 133 | Abb. 3| Maßstab 1 : 6000000

Informationen

Mit fast 13 Mio. Quadratkilometern Fläche sind Sibirien und der Ferne Osten trotz ihrer mehr als 30 Mio. Einwohner ein dünn besiedeltes Gebiet. Die Bevölkerung konzentriert sich im Wesentlichen auf den südwestlichen Bereich, in dem eine flächenhafte landwirtschaftliche Nutzung möglich ist. Ostwärts engen die Kältegrenze von Norden und die Trockengrenze von Süden das Agrarland ein, weshalb hier nur ein regionaler Anbau möglich ist.

Die Erschließung Sibiriens
Die Erschließung Sibiriens vollzog sich in der Form einer wellenartigen Ausbreitung der europäischen bzw. slawischen Bevölkerung, der Siedlungen und der Wirtschaft in diesen bis heute peripheren Raum. Sie kann in verschiedene Abschnitte gegliedert werden:
Die Pelztierjagd: Die russische Eroberung Sibiriens wurde 1581 eingeleitet. Zar Iwan IV. stellte dem Kaufmann Stroganow eine "Besitzurkunde" über Sibirien aus mit der Verpflichtung zur kolonialen Erschließung. 1581 überschritt der Kosak Jermak im Auftrag Stroganows an der Spitze einer kleinen, mit Feuerwaffen ausgestatteten Truppe den Ural und eroberte das Chanat Sibir, einen kleinen Teil des heutigen Westsibiriens. Diesem Kosakenvorstoß sollten einer Reihe ähnlicher Unternehmungen folgen. Die Eroberer pressten den sibirischen Ureinwohnern einen Tribut an Zobelfellen ab und erklärten sie zu Untertanen des fernen Moskauer Zaren. Bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts hatten sich schließlich Krieger, Abenteurer, Jäger und auch Händler über ganz Sibirien ausgebreitet und den Pazifischen Ozean erreicht. Zur Sicherung der Handelswege – in dieser Phase vor allem Flüsse – entstanden einfache befestigte Stützpunkte, sogenannte Ostrogi, von denen sich manche später zu Städten entwickelten.
Die Agrarkolonisation: Die landwirtschaftliche Erschließung folgte nur zögernd. Zunächst siedelten sich nur wenige freiwillige Zuwanderer und einige aus der Leibeigenschaft entflohene Bauern an. Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts setzte im Süden Westsibiriens entlang eines schmalen Streifens eine allmähliche agrarische Kolonisierung ein. Aber erst die Bauernbefreiung löste mit der Abschaffung der Leibeigenschaft 1861 eine größere Wanderungswelle von Siedlern aus, die Teile des fruchtbaren Keils zwischen den sumpfigen Wäldern im Norden und der Steppe im Süden kolonisierten. Die wichtigste Vorstoßlinie war zunächst der "Sibirische Trakt" über Tobolsk, Surgut und Jenissejsk bis nach Bratsk und Irkutsk.
Die Transsibirische Eisenbahn: Der Bau der Transsibirischen Eisenbahn begann 1891/92 von beiden Enden her. Zunächst wurde sie vorläufig durch die chinesische Mandschurei – mit einer Direktverbindung von Wladiwostok nach Tschita –, und dann 1914 auch mit dem Ostflügel auf russischem Territorium über Chabarowsk fertig gestellt. Ihr Bau ist eine der Großtaten der Verkehrsgeschichte. Die Leistung wurde zwar mit ausländischem Kapital, aber im Wesentlichen mit eigener Kraft erbracht.
Die Bahnstrecke der Transsib lag südlicher als der "Sibirische Trakt". Sie entwickelte sich schon während des Baus zur neuen Leitlinie der bäuerlichen Besiedlung und ist bis heute – inzwischen ergänzt durch die Baikal-Amur-Magistrale (BAM) – das verkehrstechnische Rückgrat der Erschließung Sibiriens. Die Transsib war eine Voraussetzung für die Ausdehnung des agrarischen Anbaus. Zwischen 1960 und 1991 wurden die landwirtschaftlichen Nutzflächen im Norden unter anderem entlang der Flüsse Ob und Irtysch und in Richtung Osten bis an den Amur ausgeweitet.
Industrialisierung und Bodenschätze: In der sowjetischen Zeit begann die forcierte Industrialisierung, wodurch Sibirien eine wachsende Bedeutung als Rohstoff- und Energielieferant erlangte. Diese industrielle Kolonisierung – beispielsweise durch Gründung von Wirtschaftseinheiten wie dem Ural-Kusnezk-Kombinat ab 1931 – basierte auf dem Ressourcenreichtum, erforderte jedoch einen sehr hohen Aufwand, um die Herausforderungen des Klimas, der großen Weiten und der extrem dünnen Besiedlung zu bewältigen. Mit zentralistischer Planwirtschaft und hohem Kapitalaufwand wurden seit der Stalinzeit, verstärkt ab dem Zweiten Weltkrieg, industrielle Zentren erschlossen und ausgebaut. Der Bau der BAM leitete eine neue Etappe der Erschließung ein. Diese über einen langen Zeitraum einseitig auf Rohstoffgewinnung ausgerichtete Erschließung Sibiriens erweist sich heute als durchaus fragwürdig, denn sie hat ökologische Schäden in unvorstellbarem Ausmaß verursacht.
Die postsowjetische Phase: Sibirien ist bis heute ein weitgehend unerschlossener und nur spärlich besiedelter Großraum. Im Gegensatz zu Nordamerika ist hier die Pionierzeit noch lange nicht zu Ende. Die meisten Industrieräume haben mit Strukturproblemen zu kämpfen, deren Kennzeichen – etwa die Dominanz der Schwerindustrie oder die Monostruktur der Standorte – typisch für Transformationsstaaten sind. Standorte wie Nerjungri sind in der sowjetischen Zeit nicht über die Erschließung von Rohstoffvorkommen hinausgekommen, sodass die industrielle Erschließung hier unvollständig geblieben ist. Die starke Abwanderung seit 1991 ist eine Folge der offensichtlichen Tatsache, dass viele dieser Gründungen wirtschaftlich nicht tragfähig sind.
Die Abwanderung aus dem ländlichen Raum, die sich vor allem an den Rändern der landwirtschaftlichen Nutzflächen in Sibirien beobachten lässt, ist ein Indiz für die ökologischen Probleme infolge der starken Übernutzung; man denke an das Beispiel Aralsee (vgl. Karte 133.4). Daneben gibt es ökonomische Probleme, die häufig bei der Bewirtschaftung von Grenzertragsflächen zu beobachten sind. Viele Flächen, die man in der Sowjetzeit sozusagen mit Gewalt für eine nicht standortgerechte Nutzung erschlossen hatte, wurden nach 1991 wieder aufgegeben.
G. Kirchberg

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