Mittel- und Südamerika - Entdeckungszeitalter

Amerika - Mittel- und Südamerika - Staaten
978-3-14-100803-6 | Seite 228 | Abb. 1| Maßstab 1 : 72000000

Überblick

Vor der Ankunft der Europäer gab es in Mittel- und Südamerika eine Vielzahl indianischer Völker, die unter dem Einfluss sehr unterschiedlicher geographischer und klimatischer Bedingungen vollkommen verschiedene Kulturformen ausgebildet hatten.

Die indianischen Ureinwohner

Die ersten Vorfahren dieser indianischen Völker waren vor rund 28 000 bis 23 000 Jahren während der Eiszeit über die Beringstraße aus Asien eingewandert. In den folgenden Jahrtausenden gliederten sie sich in eine große Zahl teils nomadischer, teils sesshafter Stämme auf, die mehr als 500 verschiedene Sprachen ausbildeten. Zum Teil existierten Frühformen einer intensiven, arbeitsteilig durchgeführten Landwirtschaft auf Basis des Pflanzenbaus, zum Teil lebten die indianischen Stämme bis zur Ankunft der Europäer als Jäger und Sammler.

Die Ausbildung einer differenzierten, ertragsreichen Landwirtschaft wurde in Amerika erheblich durch den Umstand erschwert, dass der gesamte Kontinent unter einem gravierenden Mangel an biologischem „Rohmaterial“ für die Viehzucht litt. Während Eurasien 13 der „klassischen 14“ domestizierbaren pflanzenfressenden Säugetiere beherbergte – darunter vor allem die „großen Fünf“, die Vorfahren von Schaf, Ziege, Schwein, Rind und Pferd – gab es in Amerika praktisch keine Domestikationskandidaten außer dem Lama, das allerdings aus biologischen Gründen nie über den Andenraum hinaus Verbreitung fand, und dem Meerschweinchen, das als Lieferant von Fleisch und Fell wenig ergiebig war und sich kaum vor einen Pflug spannen ließ. Neben diesen beiden wurden in ganz Amerika nur drei weitere Arten domestiziert: der Hund, der Truthahn und die Moschusente, wobei Letztere nur eine lokale Bedeutung hatte.

Hochkulturen entstanden in Mexiko (Azteken), auf der mittelamerikanischen Halbinsel Yucatan (Maya) und an der Westküste Südamerikas in den Anden (Inkareich). Die Chibcha, die auf dem Gebiet des späteren Kolumbien siedelten, verfügten über eine hochentwickelte Ackerbaukultur. Ähnlich war es bei den Tupi, die ihre fortschrittlichen Feldbautechniken durch Wanderzüge vom Amazonas bis zum La Plata ausbreiteten, wobei sie Sammler und Jäger wie die Ges in die Wälder und Savannen abdrängten. Auf niedrigeren Kulturstufen blieben im Allgemeinen die Binnenlandstämme. Die Aruak und Kariben des Nordens und die Araukaner und Guarani des südlichen Kontinents waren Jäger, Fischer und Sammler, die den Feldbau allenfalls in rudimentärer Form betrieben. Die Guaikuru und Patagonier lebten als nomadisierende Jäger und Sammler.

Die Azteken

Die Azteken waren im 11. Jahrhundert in Mexiko eingewandert und hatten durch kriegerische Eroberungen und diplomatisches Geschick ein Großreich geschaffen. Die eroberten Gebiete wurden militärisch besetzt und zu Tributzahlungen verpflichtet.

Die Hauptstadt Tenochtitlán, wahrscheinlich um 1370 gegründet, wurde mit Tempelpyramiden, Palästen, Aquädukten, Brücken und großen Plätzen prachtvoll ausgebaut. Grundlage der aztekischen Wirtschaft war ein kunstvoller Feldbau auf künstlich bewässerten Terrassenanlagen und schwimmenden Gärten.

Die Azteken verfügten über Kalender, Bilderschrift, Papier, ein entwickeltes Kunsthandwerk und ein staatlich organisiertes allgemeines Schulsystem, welches zwischen den oberen und unteren Ständen streng gegliedert war. Von den Azteken sind aber auch barbarische Opferrituale bekannt, in denen jährlich Tausenden bei lebendigem Leibe das Herz herausgerissen wurde, um den Sonnen- und Kriegsgott Huitzilopochtli günstig zu stimmen. Allein bei der Einweihung der neuen Hauptpyramide von Tenochtitlan im Jahre 1487 sollen 20 000 Menschen, zumeist Angehörige unterworfener Stämme, geopfert worden sein. Cortéz eroberte das Aztekenreich zwischen 1519 und 1521 mithilfe der von den Azteken unterjochten Stämme; Tenochtitlán wurde zerstört.

Die Maya

War das Reich der Azteken ein schnell expandierendes, aber auch labiles Imperium, so war das der Maya alt und vergleichsweise beständig. Die ersten Zeugnisse der Maya-Kultur – kunstvolle Keramik und Frühformen der Pyramidenarchitektur – reichen in die „Vorklassische Periode“ von etwa 1500 v. Chr. bis 200 n. Chr. zurück. Die „klassische Periode“ der Maya, auch als „Altreich“ bezeichnet, dauerte von 200 bis 900 n. Chr., mit einem deutlichen Höhepunkt im 8. Jahrhundert. Als die europäischen Konquistadoren den Kontinent erreichten, befand sich die Maya-Kultur bereits in ihrer „nachklassischen Zeit“, die möglicherweise durch veränderte klimatische Bedingungen, wahrscheinlich aber auch durch feindliche Invasionen aus dem Norden eingeleitet wurde. Die alten Städte waren aufgegeben, neue begründet worden. Doch trotz einer gewissen kulturellen Renaissance im 13. Jahrhundert erlangte das Maya-Reich nicht mehr den Glanz seiner Blüteperiode.

Die auch als „Griechen Amerikas“ apostrophierten Maya überragten in der Astronomie und Mathematik alle anderen indianischen Kulturen. Ihre Städte wurden unter astronomischen und religiösen Gesichtspunkten angelegt und enthielten neben Tempeln, Kultbauten und Palästen auch Plätze für das Ballspiel. An verschiedenen Orten gab es eine Reihe von Zeremonialzentren. Die Maya schrieben eine komplizierte Hieroglyphenschrift und verfügten ebenfalls über ein Schulsystem. Von den Azteken, deren Aufstieg ihren eigenen kulturellen Niedergang begleitete, übernahmen sie in ihrer Spätzeit gewisse religiöse Vorstellungen und damit auch die, allerdings weniger exzessiv geübte, Praxis des Menschenopfers.

Die Inka

Das größte aller Indianerreiche war das der Inka, welches sich zum Zeitpunkt der Ankunft der europäischen Eroberer über die größten Teile Ecuadors, Perus und Boliviens sowie über Gebiete Argentiniens und Chiles erstreckte. Der Überlieferung nach waren die Inka um 1200 unter der Führung ihres sagenhaften Häuptlings Manco Capac vom Titicaca-See aus nordwärts gezogen und hatten Cuzco als neue Hauptstadt gegründet. Die Herrschaft der folgenden acht Inka-Häuptlinge verliert sich im mythischen Dunkel. Die Expansion des Inka-Reichs begann unter dem ab 1438 regierenden Häuptling Pachacutec Yupanqui. Sein Sohn Tupac Yupanqui, der von 1471 bis 1493 regierte, und dessen Nachfolger Huayna Capac, der Inkaherrscher zwischen 1493 und 1527, setzten die Eroberungen fort, bis das Gebiet der Inka eine Nord-Süd-Ausdehnung von rund 4000 Kilometern hatte.

Das auf theokratischer Basis organisierte Reich war in vier Provinzen gegliedert und wurde von einem absoluten Herrscher regiert. Wirtschaftliche Grundlage war ein kunstvoller Feldbau mit Terrassenfeldern, Bewässerungssystemen und Düngung. Das Straßensystem der Inka war dem des Römischen Imperiums der Ausdehnung nach vergleichbar; durch Botenstationen organisierten sie darauf ein regelrechtes Nachrichtennetz.

Die Wortzeichenschrift der Inka ist nur teilweise entziffert. Auch sie verfügten über ein Schulsystem, welches, wie bei den Azteken, einen strengen Zweiklassencharakter trug. Es gab wiederkehrende Kulthandlungen und Zeremonien, doch scheint es Menschenopfer nur in Zeiten äußerster Not gegeben zu haben.

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