München-Neuperlach - Großwohnsiedlung

Deutschland - Deutschland - Stadtstrukturen
978-3-14-100800-5 | Seite 79 | Abb. 5| Maßstab 1 : 15000

Überblick

Der Stadtteil Neuperlach im Südosten von München ist eine der größten Großwohnsiedlungen in Deutschland. Vor dem Hintergrund einer starken Zuwanderung und eines entsprechend stark wachsenden Wohnraumbedarfs hatte der Münchener Stadtrat 1960 einen „Gesamtplan zur Behebung der Wohnungsnot in München“ beschlossen. Darin war der sechs Kilometer Luftlinie vom Stadtzentrum entfernte Standort Neuperlach als eine von drei geplanten Entlastungsstädten konzipiert worden. Die Satellitenstädte sollten ihren Bewohnern neben Wohnraum auch Arbeitsplätze und wichtige Versorgungsfunktionen bieten. Als 1967 mit dem Bau „auf der grünen Wiese“ begonnen wurde, waren die Pläne stark durch das damalige städtebauliche Leitbild der Funktionstrennung geprägt, das 1941 in der „Charta von Athen“ von Le Corbusier veröffentlicht worden war, aber erst ab den 1960er-Jahren auch in Deutschland an Einfluss gewann. In den folgenden 25 Jahren wurden 22 700 Wohnungen für rund 55 000 Einwohner geschaffen. Neuperlach grenzt im Westen an den dörflich geprägten Ortsteil (Alt-)Perlach, dessen unter Ensembleschutz stehender Dorfkern in auffälligem Kontrast zur Struktur der Großwohnsiedlung steht.

Wandel der städtebaulichen Leitbilder

Die Fertigstellung erfolgte in zwei Realisierungsphasen und sieben Bauabschnitten: Die nördlichen Bauabschnitte, zwischen 1970 und 1986 errichtet, sind gekennzeichnet durch die Gestaltungsprinzipien der städtebaulichen Moderne. Das Leitbild der autogerechten und fußgängerfreundlichen Stadt spiegelt sich in einer strikten Verkehrstrennung wider: Einerseits gibt es breite Magistralen für den Autoverkehr und andererseits ein dichtes Netz an Fuß- und Radwegen.

Die Wohnbebauung im nördlichen Teil ist durch unterschiedlich gestaltete Hochhäuser und umfangreiche Abstandsgrünflächen geprägt. Der 9- bis 18-geschossige Wohnring um das Stephans-Zentrum ist das markanteste Wohngebäude von Neuperlach. Der Komplex umfasst 1540 meist kleinere Wohnungen. Aufgrund der wachsenden Kritik an den anonymen Hochhäusern der 1970er-Jahre wurde die Zahl der Geschosse in späteren Bauabschnitten reduziert. Von der Scheiben- und Punkthochhausbebauung hat man über Bandstrukturen schließlich wieder zur Hofumbauung gefunden. So dominieren beim Bau von Süd I und Süd II Blockrandstrukturen mit maximal sieben Geschossen und stärker privatisierten Grünflächen.

Arbeitsplätze und Infrastruktur

Neuperlach sollte von Beginn an keine Schlafstadt werden, sondern auch wohnortnahe Arbeitsmöglichkeiten bieten. Heute ist der Stadtteil ein wichtiger Verwaltungsstandort von Unternehmen vor allem aus den Bereichen des Versicherungswesens und der Hightechbranche. Der größte Arbeitgeber ist das Forschungs- und Entwicklungszentrum der Siemens AG. Ihr 36 Gebäude umfassender Komplex wird als Hauptquartier für die Zentralbereiche Forschung und Entwicklung, Informationstechnologie, Finanzdienstleistungen, Immobilien und für interne Serviceeinheiten genutzt. Durch die Nähe zur Autobahn und zu Nahverkehrsmitteln ist das Areal optimal an das Münchner Zentrum und den Flughafen angebunden. In der Nähe ihres Großkunden Siemens AG haben sich kleinere Softwareanbieter niedergelassen. Weitere wichtige Arbeitgeber sind die Landesversicherungsanstalt, private Versicherungen sowie die Verwaltung der Wacker-Chemie.

Wie die meisten Großwohnsiedlungen wurde Neuperlach mit einer kompletten sozialen Infrastruktur konzipiert, die sowohl Schulen und Kindergärten als auch Arztpraxen und Geschäfte umfasst. Dies zeigen die kleinen Ladenzentren in den einzelnen Bauabschnitten, die eine Grundversorgung bei kurzen Wegen garantieren. Allerdings haben viele dieser Geschäfte existenzielle Probleme durch die Konkurrenz der Perlacher-Einkaufspassagen (PEP), einem großen Shoppingcenter im Zentrum von Neuperlach. Das PEP wurde 1981 eröffnet und hat eine Verkaufsfläche von 50 000 Quadratmetern auf drei Ebenen. Mit rund 125 Mode-, Drogerie- und Elektronik-Fachgeschäften, einer Vielzahl von gastronomischen Einrichtungen und diversen Dienstleistungen erfüllt es überörtliche Versorgungsfunktionen. Durch die U-Bahn und zahlreiche Busanschlüsse ist das PEP zugleich Verkehrsknotenpunkt des Stadtteils und Zentrum des öffentlichen Lebens.

Zu den Ladenzentren, die durch die Konkurrenz des PEP im Laufe der Jahre immer mehr verfielen, gehört das Sudermann-Zentrum im Osten Neuperlachs. Um die Nahversorgung der Anwohner sicherzustellen, wurde es in den letzten Jahren umfangreich saniert und revitalisiert, seit 2012 beherbergt es wieder einen Lebensmittelmarkt. Die kulturelle Ausstattung der Münchener Großwohnsiedlung ist allerdings aufgrund fehlender Finanzmittel nach wie vor dürftig. Mit mehreren Freizeit- und Sportanlagen sowie dem 50 Hektar großen Ostpark und dem Michaelibad gibt es aber verschiedene Freizeitmöglichkeiten im unmittelbaren Wohnumfeld.

Wohnen und Sozialstruktur

Neuperlach wurde als Wohngebiet für die mittleren Schichten konzipiert. Wie für Großwohnanlagen typisch, war zunächst ein überdurchschnittlich hoher Anteil von Familien mit Kindern und Jugendlichen zu verzeichnen. Nicht zuletzt durch den natürlichen Alterungsprozess sind in den älteren Siedlungsteilen mittlerweile ältere Jahrgänge überrepräsentiert.

Der Stadtbezirk Ramersdorf-Perlach, in dem Neuperlach liegt, gehört zu den ärmeren Bezirken Münchens. Nach dem Monitoring der Stadt München aus dem Jahr 2013 zählen Perlach-Zentrum und die benachbarten Planungsregionen zu den sozialen Brennpunkten der Stadt. Der Anteil der Bezieher von Arbeitslosengeld II („Hartz IV“) an der erwerbsfähigen Bevölkerung lag 2012 in Perlach-Zentrum mit 11,4 Prozent um mehr als das Doppelte über dem städtischen Durchschnitt. Bei fast allen Indikatoren, die soziale Defizite anzeigen, erzielen Perlach-Zentrum und die benachbarten Planungsregionen deutlich überdurchschnittliche Werte.

Allerdings gibt es kleinräumig auch deutliche Unterschiede, wie die Bau- und Eigentumsstrukturen im Stadtteil belegen. So liegt der Anteil öffentlich geförderter Wohnungen in Neuperlach-Mitte bei 89 Prozent. In diesem Bereich leben oft ältere, alleinstehende Menschen, aber auch Empfängerhaushalte von Transferleistungen. In Neuperlach Süd II wurden dagegen rund 75 Prozent aller Wohneinheiten als Eigentumswohnungen und Einfamilienhäuser errichtet. Hier dominieren Familien der mittleren bis oberen Einkommensschichten.

Im Unterschied zu anderen deutschen Großwohnsiedlungen gibt es in Neuperlach keinen Wohnungsleerstand. Eine wesentliche Ursache dafür ist der in München extrem angespannte Wohnungsmarkt durch den anhaltend starken Zuzug in die Region.

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