Großraum Nürnberg - Siedlungsentwicklung - 20.-21. Jh.

Deutschland - Deutschland - Wandel ländlicher und städtischer Siedlungen
978-3-14-100800-5 | Seite 77 | Abb. 4| Maßstab 1 : 200000

Überblick

Mit der Gunst des Königs entwickelte sich Nürnberg, das um 1050 erstmals erwähnt wurde, im Laufe des Mittelalters nicht nur zu einer der bedeutendsten, sondern mit rund 50 000 Einwohnern (um 1500) auch zu einer der größten deutschen Reichsstädte. Monatelange Reichstage, ab 1424 auch die dauerhafte Verwahrung der Reichskleinodien, ließen die Stadt mit der Kaiserburg phasenweise wie Deutschlands Hauptstadt erscheinen.

Mittelalter und frühe Neuzeit

Einer der Gründe für diese Entwicklung war, dass sich hier wichtige Überlandstraßen, zum Beispiel die viel befahrene Alpenroute nach Venedig, kreuzten. Der Wohlstand Nürnbergs beruhte daher vor allem auf dem europaweiten Fernhandel seiner Kaufleute und einem eigenen, hochspezialisierten und kunstreichen Handwerk. Die Nähe zum Eisen der Oberpfalz und den böhmischen Erzgruben führte zum Aufbau metallverarbeitender Gewerbe. An Flüssen und Teichen siedelten sich Hammerwerke an. Bereits um 1400 gliederte sich Nürnbergs Metallgewerbe in rund 40 Zweige, darunter Geschützgießer, Harnischschmiede, Weißblech- und Messingwarenhersteller, Trompetenmacher, Messerer und Fingerhuterer. Aus dieser Epoche stammt die Redensart: „Nürnberger Tand geht in alle Land“. Die Stadt wurde bedeutenden als das nicht weit entfernte Regensburg (s. 74.2).

Der Dreißigjährige Krieg beendete diese Glanzzeit. Die unsicher gewordenen Handelswege, eine neue Konkurrenz durch die Überseehäfen am Atlantik, die Zollschikanen der angrenzenden Markgrafen von Ansbach-Bayreuth, der Verlust kaiserlicher Sympathie durch den Übertritt zum Luthertum (1525) und andere konfessionelle Schranken, uneinsichtig kleinliche Gewerbevorschriften im Innern und Pestwellen lähmten die Stadt. Im 18. Jahrhundert war Nürnberg schwer verschuldet.

Das benachbarte kleine Erlangen dagegen, das seit dem 14. Jahrhundert Stadtrecht besaß, blühte nun auf. Im Zuge seiner merkantilistischen Politik holte Markgraf Christian Ernst ab 1686 Hugenotten ins Land, siedelte sie südlich der Altstadt in einer rechtwinklig gestalteten, typisch barocken Neustadt an und protegierte aktiv die von ihnen mitgebrachten höfisch-modernen Gewerbe. Die Erlanger „Werker“ versorgte ein Regnitzwehr ab 1693 mit Wasserkraft; die hugenottischen Strumpfwirker, Gerber, Handschuhmacher und Hutfabrikanten organisierten sich in Manufakturen. Die Funktion als fürstliche Nebenresidenz wirkte sich auch kulturell aus: 1743 wurde die markgräfliche Universität von Bayreuth nach Erlangen verlegt. Auch andere markgräfliche Orte wie Stein, Schwabach und Roth profitierten davon, dass sie zu Standorten innovativer Gewerbe wurden, die Nürnberg im 17. und 18. Jahrhundert ablehnte. Im 19. und 20. Jahrhundert stieg auch der Marktflecken Fürth, der erst spät Stadtrecht bekommen hatte – im Jahre 1808 vorläufig, 1818 dann endgültig –, zur Großstadt auf. Der Anstieg erfolgte nicht zuletzt dank seiner jüdischen Kaufleute und Firmengründer, die unter anderem Spiegel- und Brillenfabriken betrieben und im Exporthandel tätig waren.

Der Großraum Nürnberg in der Moderne

1806 wie ganz Franken dem Königreich Bayern einverleibt, kam Nürnberg erst im Industriezeitalter wieder voran und wuchs dann explosionsartig von 47 000 (1840) auf 424 000 Einwohner (1939). Die erste deutsche Eisenbahnlinie verband ab 1835 Nürnberg mit Fürth. Hopfenhandlungen, Spielzeug- und Bleistiftfabriken und Großbetriebe wie die Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg (MAN) oder die Firma Siemens-Schuckert wurden gegründet. Ihr historisches Standortmerkmal, Verkehrsknotenpunkt zu sein, erneuerte die Stadt durch die Errichtung eines bedeutenden Güterrangierbahnhofs im Süden, von dem aus Industriegleise als Ringbahn um die Stadt führten. Weiter verbesserte sich die Verkehrslage durch den Rhein-Main-Donau-Kanal, Autobahnen, einen internationalen Flughafen (2014: 3,3 Mio. Passagiere) und neue S-Bahn-Linien für den Personennahverkehr. Eine 1994 im Rahmen der „Verkehrsprojekte Deutsche Einheit“ begonnene ICE-Hochgeschwindigkeitstrasse von München nach Berlin ist bis Nürnberg fertiggestellt und wird gegenwärtig mit dem Streckenabschnitt Nürnberg – Erfurt – Halle vollendet (Inbetriebnahme 2017).

Rege Neubautätigkeiten konnten einsetzen, als Nürnberg im Jahr 1866 aus der militärischen Festungspflicht entlassen wurde und nicht länger das Schussfeld vor den historischen Stadtmauern freihalten musste. Dies ließ die dörflichen Siedlungskerne im Umland im Laufe der Zeit und vor allem nach 1945 immer mehr zu einem großen Verdichtungsraum verschmelzen. Nur im Knoblauchsland überdauerte eine Insel intensiven Gemüseanbaus (vgl. Atlas 58.4).

Heute ist die Metropolregion Nürnberg mit 3,5 Mio. Einwohnern und einem BIP von 106 Mrd. Euro eine der größten Wirtschaftsstandorte in Deutschland. Im Industriesektor stehen nicht mehr die Metallverarbeitung und der Maschinenbau an der Spitze, sondern die Elektrotechnik. Das hat unter anderem mit der Firma Siemens zu tun, die 1945 ihre Verwaltung und etliche Produktionsbereiche aus dem geteilten Berlin nach Erlangen verlagerte. In Partnerschaft mit der Siemens AG und der Friedrich-Alexander-Universität, seinen zwei Schwergewichten, nennt sich Erlangen „Bundeshauptstadt der Medizintechnik“.

Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Mittelfranken in geradezu krisenhaftem Ausmaß industrielle Arbeitsplätze eingebüßt hat. Die Zahl der Beschäftigten im produzierenden Gewerbe Nürnbergs sank allein zwischen 1968 und dem Jahr 2012 von mehr als 110 000 auf nur noch rund 60 000 Arbeitnehmer. Klangvolle Namen wie der einstige Unterhaltungselektronik-Riese Grundig oder die AEG gingen verloren. Die Arbeitslosenquote im Bezirk Nürnberg liegt bei knapp acht Prozent (2012). Gleichzeitig vollzieht sich aber mit Firmen wie DATEV und dem Marktforschungsinstitut GfK ein Umbruch zum Dienstleistungssektor. 1975 waren etwa 48 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in diesem Bereich tätig, 2014 waren es bereits mehr als 80 Prozent. Ausgehend von der Internationalen Spielzeugmesse wurde Nürnberg auch eine ganzjährig besuchte Messestadt.

Ein großer Teil der Bevölkerung lebt in den Wohnvororten, die als „Speckgürtel“ die Zentralstädte erweitern, in Eigenheimen mit Garten. Der östlich anschließende Reichswald wurde durch das Siedlungswachstum und den Flächenbedarf des Auto-, Bahn- und Schiffsverkehrs im Verlauf des 20. Jahrhunderts stark zurückgedrängt bzw. zerschnitten. In reichsstädtischer Zeit hatte man den Reichswald für die Köhlerei und Imkerei und als Bau- und Brennstoffquelle streng geschont. Die ab 1368 auf Kahlschlägen betriebene „Nadelholzsaat“ gilt sogar als Beginn der systematischen abendländischen Forstpflege. Dann folgte im 19. und 20. Jahrhundert eine Phase des Raubbaus, bis man die Restflächen aus ökologischen Gründen 1975 erneut unter Schutz stellte. Für die Großstadtbevölkerung ist der Reichswald ein wertvolles Naherholungsgebiet. Ein zweites Ausflugsziel bekamen die Nürnberger, als zum Zweck der Wasserüberleitung von der Altmühl zur Regnitz und zum Rhein-Main-Donau-Kanal zwischen Roth und Gunzenhausen das „Fränkische Seenland“ angestaut wurde.

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