Germanien und Raetien 100 n. Chr.

Deutschland - Deutschland - Landschaftsgeschichte
978-3-14-100770-1 | Seite 56 | Abb. 1| Maßstab 1 : 3500000

Informationen

In der Zeit um 100 n. Chr. lebten die Menschen im Südwesten Mitteleuropas in einem stabilen Staatsgebilde, dem Imperium Romanum (Römisches Reich). In diesem Reich bestanden feste Provinzen; ihre Namen, z. B. Germania Inferior, sind auf der Karte fett geschrieben. Das Römische Reich war nach Norden durch Flussläufe als natürliche Grenzen bzw. den Limes begrenzt. Dieser verlief z. B. südlich des Mains nicht entlang einer markanten Landschaftsgrenze. Der Limes war daher eine leicht angreifbare Achillesferse des Römischen Reiches und musste bald verlegt werden, nachdem ihn "wilde" Völkerschaften überrannt hatten.
Im Römischen Reich gab es feste Siedlungen (Städte, Kastelle, Legionslager) und Straßen, die sich deutlich von den Besiedlungsstrukturen der Einheimischen in den Provinzen unterschieden. Bevorzugte Siedlungsgebiete lagen vor allem an Flüssen (Rhein, Mosel, Donau), aus militärischen Gründen entlang dem befestigten Limes (Kastelle), in einigen markanten Landschaften sowie an Landschaftsgrenzen (Wetterau bei Saalburg, Ostrand des Schwarzwaldes, Alpenrand). Gemieden wurden dagegen große Teile der siedlungsfeindlichen Alpen, der Mittelgebirge und die vermoorten Niederungen.
In einigen Gegenden war die Gestaltung von festen Landschaftsstrukturen besonders weit fortgeschritten. Diese Gebiete werden auf der Karte Kulturlandschaft genannt. In diesen Gebieten gab es fest eingeteilte landwirtschaftliche Nutzflächen und Wälder mit einer festen Grenze. Außerhalb der Gebiete, in denen diese moderne Organisation der Landschaft weit vorangetrieben worden war, existierten eher unscharfe Grenzen und Grenzsäume zwischen Wald- und Offenland, die auch immer wieder verlagert wurden, sodass man ihre genaue Lage auf einer Karte keineswegs fixieren kann.
Die Siedlungsräume waren durch Fernstraßen miteinander verbunden. Besonders wichtige Handelswege waren die Flüsse, besonders der Rhein. Dort wurde Holz getriftet, Waren transportierte man auf Schiffen. Tannen- und Fichtenholz, das es am Niederrhein nicht gab, gelangte auf dem Wasserweg dorthin. Die Versorgung der Menschen am Niederrhein war in römischer Zeit am wenigsten problematisch, so dass sich in dieser Gegend besonders viele stabile Siedlungen ausbilden konnten, die auch während der Völkerwanderungszeit erhalten blieben und nun schon um die 2000 Jahre alt sind (Köln, Neuss, Xanten).

Die Gebiete außerhalb des Römischen Reiches
Im Nordosten Mitteleuropas gab es um 50 n. Chr. noch keine festen staatlichen und wirtschaftlichen Strukturen. Die Völker, die zur Römerzeit nördlich und östlich des Limes lebten, haben keine schriftlichen Zeugnisse hinterlassen, sodass zu großen Teilen archäologische Funde und Befunde Aufschluss über ihren Alltag geben. Römische Schriftsteller, z. B. Tacitus, schrieben jedoch über diese Völker. Alle Völker jenseits des Limes waren Ackerbauern, die Kulturpflanzen anbauten und Viehwirtschaft betrieben. Ihre Siedlungen hatten noch keinen dauerhaften Bestand, von Städten im römischen Sinne konnte keine Rede sein. Die Ackerbauern gründeten ihre Siedlungen in den Wäldern. Sie rodeten dazu die Bäume, legten Felder an und schickten ihr Vieh in den umliegenden Wäldern auf die Weide. Klar begrenzte Wirtschaftsareale existierten jedoch nicht.
Die damalige Küstenlinie der Nordsee unterscheidet sich gravierend von der heutigen. Dies zeigt ein Vergleich mit einer aktuellen Karte. Damals gab es noch keine Deiche. Siedlungen wurden auf Wurten angelegt, künstlichen Hügeln, auf denen sich Menschen und Tiere bei Sturmfluten in Sicherheit bringen konnten. Der Meeresspiegel ist nach der Römerzeit leicht angestiegen, dabei versanken einige Gebiete im Meer. Auch die damaligen Verläufe der Flüsse unterscheiden sich von den heutigen, in der Karte sichtbar an Elbe (z. B. Mündungsgebiet der Havel) und Oder (z. B. Oderbruch). Der heutige Verlauf der Flüsse bildete sich erst durch wasserbauliche Maßnahmen in den letzten Jahrhunderten heraus.
Die germanischen Völker trieben Handel mit den Römern. Die Herkunft einiger Handelsgüter ist auf der Karte vermerkt. Dieser Handel hatte aber nicht den gleichen Umfang wie der Handel innerhalb des Römischen Reiches. Die Handelswege hatten längst nicht die gleiche Bedeutung wie Straßen im römisch beherrschten Gebiet. Zu regelmäßigen Handelsbeziehungen konnte es nicht kommen in einem Gebiet, in dem die Siedlungen keine stabile Lage hatten.
H. Küster

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