Europa - Wirtschaftliche Raummodelle

Europa - Europa - Wirtschaft
978-3-14-100803-6 | Seite 99 | Abb. 2| Maßstab 1 : 40000000

Überblick

Es gibt zahlreiche schematische Darstellungen der wirtschaftsräumlichen Struktur Europas. Sie werden als Raummodelle bezeichnet, weil sie sowohl abstrahierte Aussagen über reale Verbreitungen als auch solche über politisch angestrebte, erwartete oder vermutete räumliche Wandlungen enthalten. Raummodelle sind unterschiedlich zu interpretieren und können auf vielfache Weise variiert werden.

Die „Blaue Banane“

Das Modell geht auf eine skizzierte These des französischen Geographen Brunet (1989) zurück. Seine Grafik zeigte das damalige Westeuropa. Brunet vertrat die Ansicht, dass ein Bedeutungsverlust für Paris infolge der fortschreitenden Europäisierung und der Lage der französischen Hauptstadt außerhalb des Rückgrats Europas zu erwarten wäre, sollte die damalige Politik der Dezentralisierung Frankreichs zu Lasten der Hauptstadt fortgesetzt werden.

Die Grafik Brunets fand in Europa unter dem von einem französischen Journalisten geprägten Schlagwort der „Blauen Banane“ (in Analogie zum Wirtschaftsbegriff Blue Chips gewählt) starke Beachtung. Die Blaue Banane erstreckt sich von Birmingham über London, Brüssel, die Randstad, das Ruhrgebiet, die Rheinachse, Basel und Zürich bis nach Mailand, Turin und Florenz und wird dann in den Grafiken unterschiedlich weitergeführt – im vorliegenden Kartenbild bis Rom. Dass die Blaue Banane kein Raum ist, der sich homogen entwickelt, zeigen Schwerpunktverlagerungen zum Beispiel vom Raum Bonn / Düsseldorf in die Rhein-Main-Region, die auch auf die Standortentscheidung der Europäischen Zentralbank für Frankfurt/M. zurückzuführen sind.

Erweiterungen und Entwicklungsachsen

Der wirtschaftliche Kernraum der Blauen Banane wurde in den vergangenen Jahrzehnten durch unterschiedliche Elemente erweitert. Die Gelbe Banane erstreckt sich von Paris über Brüssel / Amsterdam bis Hamburg und, großzügig umrissen, bis nach Berlin. Eine gestrichelte Linie symbolisiert das wirtschaftliche Herz Europas.

Der Gürtel von Hightechregionen – außerhalb derer im Kernraum– soll auf die Bedeutung von Städten wie Toulouse, Glasgow oder Kopenhagen / Malmö hinweisen. Der Begriff Sunbelt wurde in Anlehnung an das kalifornische Silicon Valley gebildet. Zumindest teilweise weisen diese Regionen eine gute Ausstattung mit weichen Standortfaktoren auf, entscheidend sind aber Faktoren wie die Bildungs- und Forschungseinrichtungen, das Arbeitskräfteangebot, die Infrastruktur und nicht zuletzt staatliche Aufträge.

Brunets Raummodell wurde nach 1990 auch durch Inhalte und grafische Erweiterungen für Osteuropa ergänzt, wo eine grundlegende politisch-ökonomischNeuausrichtung erfolgte (Transformation). Hier sind vor allem die Pfeile für die erhofften West-Ost-Verbindungen zu nennen. Entwicklungsachsen bedeutet hier vorherrschende Richtung, aber nicht zwangsläufig gebündelte Infrastrukturen oder zusammenhängende Wirtschaftsgebiete. Die Entwicklungsachsen haben sich seitdem unterschiedlich entwickelt. Während die drei baltischen Staaten Mitglieder der EU geworden sind (hoher Integrationsgrad), gilt dies in Südosteuropa nur teilweise. Die Achse Berlin–Moskau wird durch politische Auseinandersetzungen beeinflusst (wie die Ukrainekrise 2014, Wirtschaftssanktionen).

Peripherien und Fragmentierung

Die Peripherien bilden den Gegensatz zum Kernraum. Die südliche Peripherie umfasst die – gemessen an EU-Standards – wirtschaftlich zum Teil unterdurchschnittlich entwickelten Gebiete von Portugal über Sardinien, das Mezzogiorno und Griechenland bis zum europäischen Teil der Türkei.

An der nördlichen Peripherie in Skandinavien werden Merkmale wie dünne Besiedlung und ungünstige naturräumliche Bedingungen besonders deutlich. Dies bedeutet aber nicht zwangsläufig das Fehlen wirtschaftlicher Entwicklung oder unterdurchschnittliche Lebensbedingungen.

Die atlantische Peripherie ist deutlich heterogener als die südliche oder vor allem die nördliche Peripherie. Zwar liegen die Küstenräume zwischen Nordspanien und Nordschottland in vergleichsweise großer Entfernung zum wirtschaftlichen Kernraum, sie weisen aber oft eine dichte Besiedlung, eine intensive Nutzung und eine moderne, vielfältige Wirtschaftsstruktur auf (s. 98.1).

Generell ist zu beachten, dass auch in den Kernräumen (s. o.) strukturschwache Gebiete liegen. Dies verweist auf die Fragmentierung Europas, also auf die Tatsache, dass sehr gegensätzliche Raumkategorien, etwa klassische Altindustrieareale und neue Investitionsstandorte, besonders arme oder reiche Regionen, oft dicht beieinander liegen. Eine ähnliche Fragmentierung gibt es auch innerhalb der räumlich zusammenhängenden Peripherie. So liegen zum Beispiel die landwirtschaftlichen Intensivkulturen bei Almería an der spanischen Südküste oder das expandierende, moderne Dublin in der atlantischen Peripherie.

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