Erde - Globale Fragmentierung (nach Scholz, 2012)

Erde - Erde - Multipolare Welt
978-3-14-100803-6 | Seite 270 | Abb. 1| Maßstab 1 : 120000000

Überblick

Die Theorie der fragmentierenden Entwicklung ist nach Scholz (2012) eine „erklärende Beschreibung und Analyse der Entwicklungsrealität in der Ära der Globalisierung“. Das Modell der globalen Fragmentierung ist ein räumliches Modell, das auf der These fußt, dass in Zeiten der Globalisierung nicht nachholende, sondern fragmentierende Entwicklung und damit Unterentwicklung in neuer Form und Ausdehnung stattfindet.

Im Zeitalter der Globalisierung wird die bis dahin geltende internationale Arbeitsteilung abgelöst von einer globalen Arbeitsteilung, die durch exzessiven Wettbewerb gekennzeichnet ist, begünstigt durch Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung. Akteure dieses umstrukturierenden Prozesses stellen nicht mehr Nationalstaaten, sondern Global Player und das entgrenzte, global agierende Kapital dar. Mit dem Begriff Fragmentierung wird nach Scholz die „bruchhafte Trennung zwischen Gewinnern und Verlierern, zwischen Aufsteigern und Absteigern, zwischen Teilhabern, temporären Teilhabern (Scheingewinnern), Marginalisierten und Überflüssigen in sozialer, wirtschaftlicher und räumlicher Dimension (Fragment) verstanden“ (Scholz 2012), die gleichzeitig und in räumlichem Nebeneinander stattfindet.

Scholz fasst die Vielfalt an Fragmenten im Modell in drei Kategorien zusammen:

• Unter den globalen Orten / Regionen (global agierendes Milieu) werden die Schaltstellen ökonomischer Entscheidungen mit globaler Reichweite und Wirkung gefasst.

• Die globalisierten Orte / Regionen (global reagierendes Milieu) sind den globalen Orten funktional und hierarchisch nachgeordnete Orte. Sie stellen die Empfangs- und Ausführungsstandorte der von den Akteuren globaler Orte / Regionen getroffenen Entscheidungen dar (z. B. Orte mit Filialen transnationaler Konzerne oder Produktionsstätten globaler Aufträge, Weltfabriken).

• Die neue Peripherie (global stagnierendes, regressives Milieu) wird von den globalen und globalisierten Orten abgegrenzt und bildhaft von Scholz mit „Ozean der Armut“ beschrieben. Sie erstreckt sich weltweit, Kontinente übergreifend.

Räumliche Konkretisierung in der Karte

In der Karte werden die drei oben beschriebenen Kategorien des Modells räumlich konkretisiert. Dabei wird deutlich, dass sich die globalen Orte bzw. Regionen im Bereich der Triade konzentrieren, während die neue Peripherie flächendeckend Räume sowohl im „Süden“, in den Entwicklungsländern, als auch im „Norden“, in den Industrieländern, einnimmt.

• Globale Orte sind zum einen Global Cities wie New York, Tokio, Paris und London, zum anderen aber auch Zentren der Hightechindustrie wie das Silicon Valley.

• Globalisierte Orte sind Zentren der aus den globalen Orten ausgelagerten Hightech-Dienstleistungen (wie Bangalore in Indien oder Offshore-Finanzzentren), Räume, die von Auslagerungsindustrien (z. B. Maquiladora Industrie in Mexiko) sowie vom Billiglohnsektor und der einfachen Konsumgüterproduktion (z. B. Dhaka, Bangladesch) dominiert werden, exportorientierte Bergbau- und Agrarregionen (z. B. die Pilbara-Region in Westaustralien und Teile des inneren Brasiliens) sowie Regionen des internationalen Freizeit- und Tourismusgewerbes (z. B. Phuket in Thailand).

• In den neuen Peripherien liegen alle traditionellen Armutsregionen der Erde wie die Sahelländer und Bangladesch, aber auch strukturschwache Regionen wie das Erzgebirge und weite Teile Südosteuropas.

Merkmale der fragmentierenden Entwicklung

Die fragmentierende Entwicklung wird durch folgende Merkmale gekennzeichnet:

• Die verschiedenen räumlichen Fragmente sind keine Funktionsstandorte hoher Persistenz und raumgreifender Sicker- und Entwicklungseffekte. Auch gibt es keine garantierte dauerhafte Partizipation für die im Entwicklungsprozess beteiligten Personengruppen. Vielmehr bestimmen Konkurrenz und Verdrängung den Wettbewerb, dem die globalen und globalisierten Orte sowie deren Akteure ausgesetzt sind.

• Bei den globalen bzw. globalisierten Orten / Regionen handelt es sich nicht um Länder im Sinne von Nationen, sondern nur um bestimmte Orte / Regionen. Auch dort partizipieren wiederum nur bestimmte Teile der Bevölkerung. Eine Teilhabe an den wirtschaftlichen Erfolgen des globalen Wettbewerbs gelingt jedoch nur so lange, wie die Orte / Regionen bzw. Akteure den Wettbewerbsbedingungen standhalten können. Auch wenn die neue Peripherie prinzipiell am Wettbewerb partizipieren kann, gelingt dies strukturell kaum.

• Nur die Orte und Personen, die sich dem globalisierten Wettbewerb stellen, können von den wirtschaftlichen Möglichkeiten, die die Globalisierung bietet, profitieren. Dies gelingt vor allem dann, wenn sie ihren Eigeninteressen folgen. Tragende gesellschaftliche Werte wie soziale Solidarität rücken in den Hintergrund.

• Die Herausbildung räumlicher Fragmente geht einher mit sozialen Fragmentierungsprozessen.

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