Deutsches Kaiserreich 1871

Deutschland - Deutschland - staatlicher Wandel 1815 bis 1942
978-3-14-100770-1 | Seite 60 | Abb. 2| Maßstab 1 : 9000000

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Die Geschichte des Deutschen Bundes endete 1866 mit dem Deutschen Krieg, einem Entscheidungskampf zwischen Österreich und Preußen um die Vorherrschaft in Deutschland. Der Auslöser war ein Streit um die nach dem siegreichen Krieg gegen Dänemark (1864) gemeinsam verwalteten Herzogtümer Schleswig und Holstein. Preußen hatte 17 Verbündete, Österreich 13. Nach dem Sieg von Königsgrätz annektierte Preußen Schleswig-Holstein, Hannover, Kurhessen, Nassau und Frankfurt und bildete mit seinen Verbündeten nördlich der Main-Linie den Norddeutschen Bund. Österreich wurde aus dem deutschen Staatenverband ausgeschlossen. Nun begann Frankreich, um seine europäische Hegemonialstellung zu bangen. Eine diplomatische Prestigefrage, die spanische Thronkandidatur eines Hohenzollernprinzen, gab im Juli 1870 den Anlass für den Deutsch-Französischen Krieg. Der entscheidende Sieg der deutschen Truppen wurde im September 1870 in Sedan errungen.

Gründung des Deutschen Kaiserreichs
Am 18. Januar 1871, noch vor dem endgültigen Waffenstillstand, riefen die deutschen Fürsten, angeführt vom bayerischen König Ludwig II., im Spiegelsaal von Versailles den preußischen König Wilhelm I. zum deutschen Kaiser aus und begründeten damit ein in Deutschland umjubeltes und von vielen Hoffnungen begleitetes, diesmal kleindeutsches Kaiserreich. Es umfasste die vier Königreiche Preußen, Bayern, Sachsen und Württemberg, sechs Großherzogtümer, fünf Herzogtümer, sieben Fürstentümer, einige Freie Städte und das Reichsland Elsass-Lothringen.
Im deutschen Kaiserreich gab es auf der einen Seite zahlreiche einschneidende sozioökonomische Veränderungen der Moderne – die Entwicklung zu einem florierenden Industriestaat von europäischer Bedeutung, die prosperierende Entwicklung städtischer Zentren, die Entstehung eines Industrieproletariats und die Entfaltung einer allgegenwärtigen Öffentlichkeit durch die explosive Entwicklung der Massenpresse. Auf der anderen Seite blieb das Land unter Bismarck und dem Kaiser zugleich ein autoritärer Obrigkeitsstaat. Die zahllosen Menschen, die in die Öffentlichkeit, den Raum des Politischen drängten, waren von einer Teilhabe an dieser Politik ausgeschlossen. Sie erlebten Politik vornehmlich in der Rolle von Zuschauern und Untertanen, die den gekrönten Häuptern zujubelten: als Schüler, die vaterländische Gedichte auswendig lernen mussten; als Wehrpflichtige, die über die großen Vorzüge der Monarchie und die Verwerflichkeit oppositioneller Strömungen indoktriniert wurden oder als Mitglieder der zahlreichen Krieger-, Flotten- und Kolonialvereine, die sich größter Beliebtheit erfreuten, wenn sie sich an Deutschlands Weltgeltung berauschten. Allein die Kriegervereine zählten 1895 etwa 1,3 Mio. Mitglieder.

Unterdrückung der Opposition
Gegen oppositionelle Strömungen ging die Regierung hart und schikanös vor, sowohl im "Kulturkampf" gegen die Katholiken, der unmittelbar nach der Reichsgründung (nachdem das Zentrum aus den ersten Reichstagswahlen als zweitstärkste Kraft hervorgegangen war) einsetzte, wie im Kampf Bismarcks gegen eine beginnende Organisation der Arbeiterschaft, der in dem "Gesetze gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" vom 1878 gipfelte, welches zwölf Jahre lang in Kraft blieb. Durch die gezielte Schwächung des Parlamentarismus und der Parteien wurden die Keime eines demokratisch orientierten politischen Lebens erstickt. Ein aggressiv auftretender Nationalismus entwickelte sich zunehmend und nicht zuletzt durch die schnelle Verbreitung durch die soeben entstandenen Massenmedien zur Integrationsklammer für das ansonsten innerlich so zerrissene Kaiserreich.
K. Lückemeier

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