Bundesrepublik Deutschland/DDR - Bevölkerungsdichte 1970

Deutschland - Deutschland - Historische Entwicklung
978-3-14-100800-5 | Seite 82 | Abb. 4| Maßstab 1 : 12500000

Konzentration auf zwei Dichtebänder

Betrachtet man die aktuelle Verteilung der Bevölkerungsdichte in Deutschland, so lässt sich ein primäres Dichteband erkennen, welches in verschiedene Seitenarme mündet. Aus dem Ballungsgebiet Randstad in den Niederlanden kommend, verläuft es ungefähr in Nord-Süd-Richtung entlang der Nieder-, Mittel- und Oberrheinachse bis in das Schweizer Mittelland. In Deutschland finden sich darin zwei besonders verstädterte Abschnitte, zum einen das Rheinland zwischen Duisburg und Bonn und das Ruhrgebiet, zum anderen der nördliche Oberrhein zwischen Wiesbaden und Karlsruhe. Beide Räume sind typische polyzentrische Stadtregionen. Das primäre Dichteband hat bedeutende Seitenbänder, die bis tief nach Deutschland hineinstrahlen:

• Ein Dichteband erstreckt sich von Köln in Richtung Aachen und von dort aus weiter in das länderübergreifende, hochverdichtete und auf allen Ebenen stark interagierende Städtedreieck Aachen–Maastricht–Lüttich.

• Ein weiteres Dichteband erstreckt sich entlang des Neckar von Heidelberg über Heilbronn und Stuttgart nach Reutlingen.

• Ein vom Rhein-Neckar-Gebiet nach Westen abgehendes Band zieht sich über Kaiserslautern in Richtung Saarland und bis zur französischen Grenze. Weiter westlich schließt sich daran ein halbmondförmiger Dichteraum an, der von Trier über Luxemburg, Esch und Thionville (Diedenhofen) bis nach Metz und Nancy reicht.

Ein vom Rhein-Ruhr-Gebiet ausgehendes sekundäres Dichteband verläuft entlang des nördlichen Mittelgebirgsrands bis nach Braunschweig, Wolfsburg und Magdeburg. Es ist nach Osten hin deutlich inselhafter als das primäre Dichteband und weist dort größere Lücken auf. Die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch bestehende Fortführung über Halle, Leipzig hinein in den obersächsischen Verdichtungsraum und darüber hinaus bis Krakau und Ostrau, löste sich – wie in der Kartenfolge gut zu erkennen ist – aufgrund von politischen Einschnitten und Entwicklungen ab Mitte des 20. Jahrhunderts auf. Einige Räume rückten stärker ins Zentrum des jeweiligen Landes, andere gerieten in eine periphere Lage. So geht beispielsweise der Bevölkerungsrückgang zwischen den Linien Göttingen / Wolfsburg einerseits und Magdeburg / Halle andererseits auf die Teilung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg zurück, insbesondere auf die großen Wanderungsverluste zwischen 1945 und 1961 (vor der Abriegelung der innerdeutschen Grenze) sowie ab 1990 (nach dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung). Der heute bestehende Kontrast ist aber auch eine Folge des deutlich stärkeren Wachstums von Städten wie Magdeburg und Wolfsburg gegenüber den ländlichen Räumen der Region nach 1945. Dies trug dazu bei, dass sich die großen Städte heute stärker von den umgebenden ländlichen Räumen absetzen als etwa im Jahr 1937.

Im Südosten des sekundären Dichtebands liegt der sächsisch-thüringische Verdichtungsraum; er hat die Form eines ungleichmäßigen Trapezes und wird in etwa von den Städten Erfurt, Plauen, Bautzen und Halle umgrenzt.

Weitere Verdichtungsräume in Deutschland

Bayern weist zwei Dichtekonzentrationen auf. Der Main-Korridor westlich und östlich von Würzburg hat untere Dichtewerte, sodass man den dicht besiedelten mittelfränkischen Kernraum um Nürnberg, Fürth und Erlangen in einer Insellage sehen kann. Ulm, Augsburg und München bilden eine Städtereihe mit hohen Werten der Bevölkerungsdichte im Süden.

Außerhalb dieser Verdichtungsbänder gibt es große, eher punktuelle Verdichtungsräume mit einer Kernstadt und einer ins Umland ausgreifenden Bevölkerungsverdichtung. Beispiele hierfür liefern etwa Hamburg, Bremen und Berlin, wobei sich nordöstlich der Rhein-Ruhr-Schiene eine Verdichtung der ländlichen Korridore zwischen Münster und Osnabrück, zwischen Bremen und Oldenburg und auch zwischen Hamburg und Lübeck abzeichnet.

Entwicklungsstränge zwischen 1900 und 1937

Die Karte von 1900 zeigt, dass die damals bereits bedeutenden Großstädte noch scharf gegen das agrarische Umland abgegrenzt waren. Ihre nachfolgende konzentrische Ausdehnung wurde stark durch die (Auto-)Mobilisierung der Bevölkerung, zum Teil auch durch die Ausweitung des schienengebundenen Verkehrs vorangetrieben. Ein zweiter Grund war die explosionsartige Entwicklung des Wohnungsbaus nach dem Zweiten Weltkrieg, die eng mit einer Steigerung des Lebensstandards gekoppelt war. Auf der Karte ist auch zu sehen, dass sich Bevölkerungskonzentrationen um das Jahr 1900 herum allenfalls erst im Ansatz zeigten. Ausgeprägt waren allerdings schon die Gegensätze zwischen agrarischen, meist peripheren Räumen – etwa der Norddeutschen Tiefebene oder dem südlichen und östlichen Bayern – und den industriellen Räumen mit einer starken wirtschaftlichen Dynamik, wie dem Ruhrgebiet, der Region Frankfurt – Mainz – Ludwigshafen – Mannheim, dem Stuttgarter Raum und Sachsen.

Die Karte von 1937 zeigt bereits eine stark angewachsene Zahl von Großstädten, die ein Resultat des anhaltenden Verstädterungsprozesses in den vorausgegangenen Jahrzehnten waren. Es heben sich erstmals auch industrielle Verdichtungsräume außerhalb des damals bereits klar erkennbaren Rhein-Ruhr-Gebietes ab, beispielsweise der polyzentrische Ballungsraum Oberschlesien oder das Saar-Revier.

Bevölkerungsdichte, Verstädterung und Industrialisierung

Das Farbbild der Kartensequenz 1900 – 1937 – 1970 – 2015 darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die reinen Einwohnerdichtewerte raumgreifenden politischen und gesellschaftlichen Veränderungen nur langsam und erratisch folgen. Selbst ein so wichtiges demographisches Merkmal wie die Mobilität der Bevölkerung kann nur indirekt aus dem Verteilungsmuster gefolgert werden. Immerhin lassen sich jedoch auch historische Entwicklungen an der Entwicklung und Veränderung der Bevölkerungsdichte einigermaßen akkurat nachvollziehen.

Die Tendenz zur regionalen Bevölkerungskonzentration steht in einem engen Zusammenhang mit den Prozessen der Verstädterung und Industrialisierung und ist insofern ein Resultat des 19. und 20. Jahrhunderts. Lag in den vorhergehenden Jahrhunderten die Wachstumsrate der Städte kaum über dem allgemeinen Bevölkerungszuwachs, so änderte sich dies mit der Industrialisierung. Standortpräferenzen zu Beginn der Industrialisierung waren zunächst Rohstoff- und Energievorkommen, aber auch die Verkehrslage. Das Ruhrgebiet ist ein frühes Beispiel für diese Entwicklung, zur Jahrhundertwende zeigte es bereits eine gewisse Reifestruktur.

Das schnelle Bevölkerungswachstum in Industriestädten war zum einen das Ergebnis einer ersten großen Wanderungsbewegung, der Landflucht, die zunächst das Umland, dann auch weiter entfernt gelegene Räume umfasste. Zum anderen war es eine Folge der Geburtenraten in den Städten, die in der Gründerzeit überdurchschnittlich hoch waren, nicht zuletzt aufgrund der Altersstruktur der Zuwanderer.

Für Industrieansiedlungen galt in der Phase der Industrialisierung das Prinzip der Selbstverstärkung: Infrastrukturvorteile, die sich mit der Industrialisierung entwickelt hatten, waren attraktiv für weitere Ansiedlungen. Deshalb sollte die Verknüpfung von Bevölkerungskonzentrationen und Industrialisierung nicht als ein monokausaler Prozess betrachtet werden. Die Industrialisierung war vielmehr eingebettet in einen gesellschaftlichen Wandel und eine allmähliche Verbesserung der Lebensverhältnisse. Moderne Massentransportmittel ermöglichten eine größere Konzentration von Menschen auf begrenztem Raum, wodurch sich Stadtregionen unterschiedlicher Verdichtung herausbilden konnten. Natürlich hat auch der Dienstleistungssektor sehr zur Ausbildung von Ballungsgebieten und Verdichtungsräumen beigetragen.

Entwicklungstendenzen der Gegenwart

Der Konzentrationsprozess der Bevölkerung dauerte, unterbrochen von den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges, noch bis in die 1970er-Jahre an, erst dann schwächte er sich ab. Die großen Migrationsströme, die zur Verdichtung entscheidend beigetragen hatten, waren neben der allgemeinen Landflucht die Zwangsumsiedlung der Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg, die Flüchtlingsbewegungen aus der DDR sowie die Zuwanderung (vor allem Umsiedler, Gastarbeiter, Flüchtlinge, EU-Bürger). Zu Buche schlägt in jüngster Zeit auch die Abwanderung meist junger Menschen aus den neuen Bundesländern in den Westen.

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