Bogotá - Sozialstruktur und Wohnqualität

Amerika - Kolumbien, Venezuela - Räumliche Disparitäten
978-3-14-100800-5 | Seite 229 | Abb. 6| Maßstab 1 : 250000

Überblick

Bogotá, amtlich Santafé de Bogotá, hat als Hauptstadt Kolumbiens eine zentrale Funktion für das Land. In der Agglomeration Bogotá sind mehr als ein Drittel der Industriebetriebe und -beschäftigten und mehr als 50 Prozent der Arbeitnehmer im Bank-, Finanzdienstleistungs-und Versicherungswesen konzentriert. Bogotá ist aufgrund des zentralistischen Staatsaufbaus die „Verwaltungsmetropole“ des Landes. Dies drückt sich auch in der Ausrichtung des Straßen- und Luftverkehrsnetzes auf die Hauptstadt aus. Diese zentrale Lage und Funktion hat auch das Wachstum und die sozialräumlich-funktionale Gliederung der Stadt, die sich heute über rund 40 Kilometer in nord-südlicher und fast 18 Kilometer in ost-westlicher Richtung erstreckt, wesentlich geprägt.

Stadtstrukturen und Oberschichtsviertel

Nach ihrer Gründung 1538 breitete sich die in 2600 bis 2700 Meter Höhe gelegene Stadt auf den unteren Hangpartien der auf über 3300 Meter ansteigenden Ostkordillere aus, allerdings wurde der Bereich der Altstadt bis Anfang des 20. Jahrhunderts kaum überschritten. Mit dem raschen Bevölkerungswachstum ab den 1940er-Jahren, das ab den 1950er-Jahren explosionsartige Züge annahm, ging eine enorme Siedlungsausdehnung nach Norden und Süden einher, später auch eine Flächenausdehnung in das Hochbecken.

Südlich des zentralen Platzes, der Plaza Bolívar, beginnt die Wohngegend der ärmeren Bevölkerung. Die etappenartige Verlagerung der Wohnviertel der Oberschicht in immer altstadtfernere Bereiche erfolgte ausschließlich in nördlicher Richtung, dann entlang der Autopista del Norte und der Séptima, bis in eine Entfernung von über 20 Kilometer zur Plaza Bolívar. Die gleichzeitige oder etwas phasenversetzte Entstehung von Subzentren für den hoch- und höchstrangigen Bedarf – oft in Anlehnung an große Einkaufszentren – minderte die Bedeutung der altstadtnahen City und wirkte zugleich attraktivitätssteigernd für die gehobenen Wohnviertel. Diese werden seit den 1990er-Jahren fast ausschließlich als „Gated Communities“ oder „Gated Houses“ erbaut. In die aufgegebenen Viertel der Oberschicht ziehen sukzessiv Haushalte der Mittelschicht ein. Durch die Verlagerung und Konzentration höchstrangiger privater Dienstleistungen entwickelten sich einige Subzentren zu neuen Central Business Districts (CBDs), während die Altstadt Teile dieser Funktionen verlor.

Die Altstadt von Bogotá

Die Altstadt ist heute im Hinblick auf Funktionen, Sozialstruktur und Bausubstanz durch starke Kontraste geprägt. Nahe der Plaza Bolívar, dem „Gründungspunkt“ Bogotás, finden sich noch immer höchstrangige staatliche und kirchliche Institutionen. Ab den 1980er-, verstärkt seit den 1990er-Jahren wurden einige Viertel wie La Candelaria renoviert, wodurch sie erheblich aufgewertet und dank entsprechender Polizeipräsenz auch sicherer wurden. Auch das baulich und sozial degradierte, berüchtigte Cartucho-Viertel nahe der Plaza Bolívar, einst Zentrum von Drogenhandel, Prostitution und anderen kriminellen Aktivitäten, wurde vollständig saniert. Es ist heute Teil des 200 Hektar großen Parks. Die Probleme seiner Bewohner sind aber nur räumlich verlagert worden.

Unterschichtviertel

Das Hauptwohngebiet der unteren Bevölkerungsschichten ist der Süden und Westen. Die Hüttenviertel der Armen liegen dort an den Hängen zur Cordillera Oriental und in überschwemmungsgefährdeten Flussniederungen. Aufgrund des Bevölkerungsdrucks entstanden neue Unterschichtviertel vermehrt auch im Norden, weshalb die Bezeichnung „reicher Norden“ nur noch eingeschränkt gilt.

Die Bildung neuer Unterschichtviertel geschieht weitgehend unkontrolliert. Knapp 45 Prozent der Bevölkerung von Bogotá leben in „Barrios Piratas“. Diese entstehen durch die behördlich nicht genehmigte und mit den lokalen Bebauungs- und Katasterplänen oft nicht konforme Aufteilung größerer Privatgrundstücke in Parzellen von 50 bis 90 m², die an Haushalte aus anderen Unterschichtvierteln verkauft werden. Allerdings unterbleibt meist die Eigentumsübertragung der Parzelle im Kataster. Schätzungen zufolge sind knapp zwei Drittel der Wohnviertel Bogotás auf diese Art entstanden. Durch den selbstorganisierten Um- und Ausbau der Hütten und der technischen Infrastrukturanlagen und die nachträgliche Legalisierung kommt es häufig innerhalb von 8 bis 15 Jahren zu einer Konsolidierung dieser Viertel.

Eine relativ junge, seit Mitte der 1990er-Jahre auftretende Erscheinung sind die No-go-Areas. Kriminelle Organisationen gründen ihre Stützpunkte vor allem in schwer zugänglichen und deshalb leichter zu kontrollierenden Vierteln am Stadtrand. Hier organisieren sie ihre kriminellen Aktivitäten vom Drogen- und Waffenhandel über Entführungen, Attentate und Banküberfälle bis zur Geldwäsche. Der Übergang von Bandenstrukturen zu international operierenden Syndikaten ist längst vollzogen. Vor allem im Süden gibt es einige No-go-Areas, in denen das Wort des „Jefes“ (Chefs) mehr gilt als das der Verwaltung oder Polizei. Personen aus anderen Vierteln haben hier kaum oder gar keinen Zutritt. Die Bevölkerung lebt in „ihren“ Territorien jedoch relativ sicher. Die Entstehung von Banden-Claims trägt stark zur wachsenden sozialräumlichen Fragmentierung bei.

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