Asiatisch-Pazifischer Wirtschaftsraum - Arbeitsmigration

Asien - Asiatisch-Pazifischer Wirtschaftsraum
978-3-14-100800-5 | Seite 167 | Abb. 3| Maßstab 1 : 36000000

Überblick

Ein wesentliches Merkmal des asiatischen Wirtschaftsraums sind Ströme von Arbeitsmigranten, die dem Gefälle der Wirtschaftskraft folgen (siehe dazu auch Dubai, 181.7). Tag für Tag verlassen zum Beispiel mehrere Tausend Einwohner der Philippinen ihr Land, um anderswo ein Auskommen zu suchen. Nach den Schätzungen der philippinischen Übersee-Kommission gingen im Jahr 2011 weltweit rund 10,5 Mio. Einwohner – also mehr als ein Zehntel der Staatsbevölkerung von 100,1 Mio. (Stand 2014) – einer Beschäftigung jenseits der eigenen Grenzen nach. Auswanderer aus den Philippinen arbeiten in rund 200 Ländern und Territorien der Erde; rund 1 Mio. von ihnen hielt sich irregulär, weitere 4,5 Mio. temporär und fast 5 Mio. permanent dort auf.

Arbeitsmigration in Ostasien

Um 1950 waren die Philippinen noch die am weitesten entwickelte Volkswirtschaft in Südostasien nach Japan. Auch 25 Jahre später gingen gerade einmal 36 000 Filipinos einer Beschäftigung im Ausland nach. Zu einem Massenphänomen wurde die Arbeitsmigration erst, als in den 1980er-Jahren die asiatischen Tigerstaaten Singapur, Hongkong, Taiwan und Südkorea die Philippinen wirtschaftlich überholten (vgl. 196/197) und zugleich immer mehr Arbeitskräfte aus dem Ausland anheuerten. In den aufstrebenden Schwellenländern ermöglichen die „importierten“ Haushaltsangestellten den Angehörigen der neuen Mittelschicht die Vollerwerbsarbeit, während die Arbeitsmigranten häufig vergleichsweise schlecht entlohnte Tätigkeiten übernahmen.

Es begann damit eine Entwicklung, die bis heute ungebrochen anhält: Menschen aus Ländern mit einem geringen Stand der menschlichen Entwicklung und einem geringen Bruttoinlandsprodukt (BIP) ziehen als Arbeitsmigranten in andere Länder, in denen der Lebensstandard und das Lohnniveau etwas besser sind, wodurch eine Art Migrationskette entsteht, wie sie sich in Südostasien exemplarisch zwischen Myanmar und Singapur herausgebildet hat. Menschen aus dem rückständigen Myanmar, das im jüngsten UN-Bericht über menschliche Entwicklung („Human Development Report 2013“) Rang 149 belegt und damit zu den ärmsten Ländern der Erde gehört, zieht es nach Thailand (HDI-Rang 103, „mittlere menschliche Entwicklung“), während Thailänder abwandern nach Malaysia (HDI-Rang 64, „hohe menschliche Entwicklung“) und Malaysier nach Singapur (HDI-Rang 18, „sehr hohe menschliche Entwicklung“).

Temporäre Migration und Auswanderung

Etwa 90 Prozent der Menschen, die jährlich die Philippinen verlassen, sind Arbeitsmigranten, die für einen gewissen Zeitraum ins Ausland gehen, um Geld zu verdienen. Angelockt vom Bauboom in den Golfstaaten, zog es diese als Wanderarbeiter zwischen 2008 und 2013 in Scharen in den Nahen Osten; die wichtigsten Zielländer dort waren Saudi Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar und Kuwait. Mehrheitlich handelte es sich bei den Migranten um Öl- oder Bauarbeiter und Hausmädchen. Darüber hinaus führen permanente Wanderströme in die umliegenden Staaten des ost- und südostasiatischen Raumes sowie nach Amerika, Australien und Europa, wobei sich die „typischen“ Qualifikationen der Migranten je nach Zielland stark unterscheiden. Neben Hausangestellten, Arbeitern und Handwerkern gibt es inzwischen etwa 300 000 Filipinos, die als Seeleute arbeiten und inzwischen weltweit rund ein Viertel aller internationalen Schiffsbesatzungen stellen. Seit den 1990er-Jahren ist zudem eine starke Nachfrage nach qualifizierten und hochqualifizierten Arbeitskräften zu beobachten, vor allem im medizinischen Bereich und der IT-Branche.

Das Geschlechterverhältnis der philippinischen Migranten hat sich im Laufe der Jahrzehnte stark gewandelt. Um das Jahr 1975 stellten weibliche Arbeitsmigranten nur eine Minderheit von etwas mehr als 10 Prozent, doch dann nahm ihr Anteil rasant zu. Seit Mitte der 1980er-Jahre sind die Frauen mit einem Anteil von rund 60 Prozent – phasenweise sogar deutlich mehr – permanent in der Überzahl. Eine wichtige Ursache dieses Wandels war, dass die rasant zunehmende Erwerbsbeteiligung von Frauen in den benachbarten Schwellenländern und anderswo ebenso wie der zunehmende Wohlstand in anderen Erdteilen zu einer rasant steigenden Nachfrage nach ausländischen Haushaltshilfen führte.

Unter den philippinischen Migranten eines Jahres gehört etwa jeder Zehnte zur Gruppe der dauerhaften Auswanderer. Deren wichtigstes Ziel sind traditionell die USA, auch wenn deren Bedeutung abgenommen hat, seit auch andere Länder ihre Einwanderungsbestimmungen liberalisiert haben. Zog es früher weit über 70 Prozent der philippinischen Auswanderer nach Amerika, waren es 2012 „nur noch“ knapp 50 Prozent. Weitere wichtige Zielländer der letzten Dekaden waren Australien und Japan, heute ist es vor allem Kanada. Fast ein Drittel der dauerhaften Auswanderer sind junge Frauen, die als Heiratsmigranten ins Ausland gehen.

Entwicklungsgefälle und Binnenmigration

Ein charakteristisches Merkmal von Schwellenländern ist der starke Kontrast zwischen urbanen Zentren und rückständigen ländlichen Räumen. Binnenmigranten kommen typischerweise aus sehr armen Familien, während die Arbeitsmigranten im Ausland oft Haushalten der Mittelschicht entstammen. Ein starkes Reichtums- und Entwicklungsgefälle ist in China die Hauptursache für die Binnenmigration aus peripheren Regionen in „neuindustrialisierte“ Ballungsräume.

Etwas anders liegt der Fall bei der Migration aus Burma, Laos oder Kambodscha nach Thailand, weil hier neben der materiellen Not auch politische Verfolgung und ethnische Konflikte eine Rolle spielen. Geflüchtete Migranten leben in den Zielländern in der Regel ohne Aufenthaltspapiere. Das schlägt sich in sehr geringen Löhnen und einer starken Rechtlosigkeit nieder.

Soziale Hintergründe und gesellschaftliche Folgen

Wichtige Motive für die Arbeitsmigration sind zweifellos die Hoffnung auf ein besseres Leben und der Mangel an Alternativen. Bei vielen Migranten, insbesondere Frauen, spielt überdies die moralische Verpflichtung gegenüber den eigenen Angehörigen eine wesentliche Rolle. Für viele arme Familien sind die Überweisungen aus dem Ausland die wichtigste Einkommensquelle. Etwa 15 Prozent der philippinischen Haushalte erhalten direkte Zahlungen aus dem Ausland, weitere 60 Prozent gehören zum weiteren Kreis der Begünstigten. Die hohen Rücküberweisungen von Arbeitsmigranten machen seit Jahren etwa 10 Prozent des nationalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus und sind deshalb für das Land von eminenter wirtschaftlicher Bedeutung. Das große Interesse des philippinischen Staats an der Arbeitsmigration äußert sich in umfangreichen institutionalisierten Unterstützungsmaßnahmen. Der Staat hat ein ganzes Netz von Einrichtungen geschaffen, die die internationale Migration von Filipinos begleiten und steuern, vom kostenlosen Vorbereitungsseminar für Wanderarbeiter bis zur Rechtsberatung. Ergänzt wird dieses Angebot durch private Vermittlungsagenturen, die bis in die letzten Winkel des Landes anzutreffen sind.

Die Kehrseite dieser Entwicklung ist, dass gerade die qualifizierten Kräfte in Scharen ins Ausland abwandern. Mehr als zwei Drittel aller philippinischen Ärzte beispielsweise zieht es ins Ausland, bevorzugt in die USA, wo sie selbst als Krankenpfleger deutlich mehr verdienen als ausgebildete Mediziner in ihrem Heimatland. Kein Staat exportiert nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO so viel medizinisch qualifiziertes Personal wie die Philippinen. Dieser „Brain Drain“ schwächt die Entwicklung der Philippinen selbst, weil er verhindert, dass sich eine stabile Mittelklasse bildet, die als gesellschaftliche Gruppe eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung initiieren und tragen könnte. Überdies führt die Arbeitsmigration zu einer Konzentration der unterqualifizierten Arbeitnehmer im Inland, die sich in einem Mangel an Fachkräften niederschlägt.

Dennoch zeigen sich auch gegenläufige Trends. So zählen Callcenter zu den weltweit besonders rasch wachsenden Wirtschaftssegmenten. Die Philippinen haben hier erhebliche Standortvorteile, u. a. geringe Betriebs- und Lohnkosten, zahlreiche junge, gute ausgebildete Arbeitskräfte und – nicht zuletzt auch dank der Migrationserfahrungen – die Vertrautheit mit dem amerikanischen Englisch. Dies eröffnet dem Land wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten. Es unterstützt beispielweise die Umschulung von temporären Migranten, die aufgrund wirtschaftlicher Krisen aus dem Ausland zurückkehren müssen, zu Callcenter-Agenten.

Schlagworte