Aralsee - Landschaftswandel 1960 / 2007

Asien - Russland / Zentralasien
978-3-14-100770-1 | Seite 133 | Abb. 4| Maßstab 1 : 6000000

Informationen

Das schleichende Verschwinden des Aralsees gilt als eine der größten Umweltkatastrophen, die der Mensch im 20. Jahrhundert verursacht hat. Die vom Aralsee eingenommene Fläche hat sich allein in den Jahren zwischen 1960 und 2000 von 68 000 km² auf etwa 32 000 km² um mehr als die Hälfte verringert. Der einstige Fischerort Muinak, in dem vor nicht langer Zeit noch tausende Menschen vom Fischfang und der Fischverarbeitung lebten, ist heute eine Wüstenstadt, in der verrostete Schiffswracks mehr als 100 Kilometer vom Aralsee entfernt auf dem Trockenen liegen. Trotz zahlloser Umweltkonferenzen hat sich der Rückgang des Sees bis 2004 ungebrochen fortgesetzt. War der südliche, größere der beiden Restseen vor einigen Jahren noch ein geschlossenes Gewässer, in dem das ehemalige Testgelände für Biowaffen eine Insel bildete, ist er heute an seinem Südrand vollständig ausgetrocknet und im Norden noch schmaler geworden Durch den Bau von Dämmen und die Ausbesserung der Bewässerungskanäle versucht Kasachstan mit Unterstützung der Weltbank, den Wasserstand im Nördlichen Aralsee zu stabilisieren. Dort hat sich der Wasserstand von seinem Tiefststand 2004 (32 Meter) bis 2007 wieder auf 43 Meter erholt, die Fläche des Teilsees ist seitdem um 30 Prozent gewachsen.

Vom Binnensee zur Wüstenlandschaft
Die unmittelbare Ursache für das verschwinden des Aralsees war der Umstand, dass die beiden Zuflüsse Amurdarja und Syrdarja statt der einstmals 56 km³ durchschnittlich nur noch 5 km³ Wasser zur Jahreswasserbilanz des Sees beitrugen. In vielen Jahren erreichten sie den See gar nicht mehr. Da sich der Aralsee in einem Trockenraum mit hohen Sommertemperaturen befindet, in dem die mittlere Jahresniederschlagssumme unter 250 Millimetern liegt, war die Verdunstung immens. Die geringen Niederschläge reichen bei weitem nicht aus, die Verdunstungsverluste auszugleichen: Sie trugen zusammen mit den unterirdischen Zuflüssen nur 10 km³ pro Jahr zur Wasserbilanz bei.
In der abnehmenden Wassermenge nahm der Salzgehalt zu. Der hohe Eintrag von Düngemitteln aus den Bewässerungsflächen verstärkte diesen Prozess. Die ehemaligen, heute trocken gefallenen Seeflächen sind von ausgedehnten Salz- und Bodenverwehungen betroffen. Zu den ökologischen Auswirkungen des Landschaftswandels zählen die zunehmenden Salzstaubstürme östlich des Sees ebenso wie die Versalzung und Verunreinigung des Flusswassers. Die 1960 noch vorhandenen Auenwälder in den Flussdeltas sind ganz verschwunden. Der kommerzielle Fischfang musste in den 1980er-Jahren eingestellt werden, die noch vorhandenen Wasserflächen sind zum Teil ökologisch tot oder in ihrer Arten- und Individuenzahl extrem verarmt. Als Folge der oben beschriebenen Maßnahmen ist es aber zumindest gelungen, den Salzgehalt im Nördlichen Aralsee wieder auf unter 1,5 Prozent abzusenken. Der Syrdaja erreicht wieder kontinuierlich den Nördlichen Teilsee. Damit haben sich dort auch die ökologischen Bedingungen verbessert, selbst Fischfang ist wieder möglich.

Landschaftswandel durch Bewässerung
Die wichtigste anthropogene Ursache für die Veränderungen am Aralsee war die zunehmende Inanspruchnahme der Flüsse Amurdarja und Syrdarja für Bewässerungsmaßnahmen, insbesondere die umfangreichen Wasserentnahmen aus dem Amurdarja für den Karakumkanal (vgl. 134). Hintergrund dieser Maßnahmen war der "Kalte Krieg". Um vom Ausland unabhängig zu werden, beschloss die Führung der Sowjetunion in den frühen 1960er-Jahren, den Anbau von Reis und Baumwolle drastisch zu steigern. Da diese beiden Arten zu den wasserbedürftigsten Nutzpflanzen überhaupt gehören, musste ein riesiges Bewässerungssystem errichtet werden, das sich aus den genannten Flüssen speiste. Die Wasserentnahme gipfelte Anfang 1974 in einer vollständigen Blockade des Syrdarja, 1982 folgte die Blockade des Amurdarja.
Die nach 1960 stark ausgedehnten Bewässerungsflächen für den Reis- und Baumwollanbau befinden sich heute bereits wieder im Rückgang. Infolge unsachgemäßer Anbaumethoden sind die verbliebenen Flächen von Bodenversalzung betroffen. Bewässert wurde ohne Drainagesystem, sodass große Mengen an Wasser verschwendet wurden. Das überschüssige Wasser wurde in etwa 40 relativ große, künstliche Drainageseen oder in Kleinseen und Senken abgeleitet, wo es zu großen Teilen verdunstete. Ungewollt speiste das Wasser des Amurdarja so auch den Sarykamyschsee im Grenzgebiet von Turkmenistan, der sich dadurch zwischen 1960 und 2007 um ein Vielfaches vergrößerte.
M. Felsch

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Sketchnote: Das Aralsee-Syndrom
Die Sketchnote zeigt animiert die Zusammenhänge des Aralsee-Syndroms.