Amazonien - Eingriff in den tropischen Regenwald

Amerika - Brasilien - Entwicklung und Nachhaltigkeit
978-3-14-100803-6 | Seite 237 | Abb. 4| Maßstab 1 : 16000000

Überblick

Amazonien ist mit einer Fläche von etwa 5,8 Mio. Quadratkilometern das größte tropische Regenwaldgebiet der Erde. Es bedeckt rund ein Fünftel der Landfläche Südamerikas, wobei rund 75 Prozent auf Brasilien entfallen, 25 Prozent verteilen sich auf die Nachbarländer Bolivien, Kolumbien, Ecuador und Peru. Amazonien ist die Heimat einer außerordentlich reichen und vielgestaltigen Flora und Fauna und zudem für das Ökosystem Erde, insbesondere für das Weltklima, von entscheidender Bedeutung. Bedroht wird die Region insbesondere seit den 1970er-Jahren durch die massiven, teils vom Staat legitimierten, teils illegalen Rodungen, die in den letzten Jahren immer weiter fortgeschritten sind, obwohl ihre ökologischen Risiken außer Frage stehen.

Im Süden des Kartenausschnittes geht die Zone der tropischen Regenwälder in die Zone der Feuchtsavanne über. Die Feuchtsavanne und die Übergangszone zum Regenwald sind aufgrund ihrer natürlichen und klimatischen Bedingungen hervorragend für die landwirtschaftliche Nutzung geeignet und wurden deshalb durch anthropogene Nutzung bereits sehr stark verändert und umgestaltet.

Anfänge der Erschließung

Die wirtschaftliche Ausbeutung Amazoniens begann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der Gewinnung von Kautschuk. Ihre zerstörerische Dynamik entfaltete sie aber erst ab etwa 1970, als mit dem Bau einer durch das südliche Amazonien führenden Fernverkehrsstraße, der Transamazônica, begonnen wurde, die später durch weitere Fernstraßen ergänzt wurde. Ein Beispiel für die darauf folgende Erschließung ist das Gebiet zwischen Altamira und Itaituba im Bundesstaat Pará. Gefördert von der brasilianischen Regierung, wurde dort in den 1970er-Jahren ein 500 Kilometer langer Streifen für die Agrarkolonisation erschlossen. Das Projekt hatte zum Ziel, beiderseits der Transamazônica je 100 Kilometer Land landwirtschaftlich zu durchdringen. Jeder Siedler, der sich an dem Kolonisierungsprojekt beteiligte, erhielt auf Kreditbasis 100 Hektar Land, ein einfaches Holzhaus, Werkzeuge und Saatgut, um etwa 50 Prozent der ihm übertragenen Fläche zu roden und zu bewirtschaften. Etwa 100 000 Familien sollten auf diese Weise angesiedelt werden, aber nur etwa 7000 beteiligten sich an diesem gewagten Unternehmen. Das Projekt scheiterte schließlich mehr oder minder, weil die Zahl der Abwanderer, die Amazonien wieder den Rücken kehrten, schon bald die der Zuwanderer übertraf. Ursachen des Misserfolgs waren zum Teil die unzureichenden Erfahrungen der Kolonisten mit der Landwirtschaft in den immerfeuchten Tropen, aber auch organisatorische Mängel und fehlende Absatzmöglichkeiten.

Obwohl dieses erste Großprojekt weitgehend scheiterte, markierte es den Beginn jahrzehntelanger großflächiger Eingriffe in den tropischen Regenwald. Ein wesentliches wirtschaftliches Motiv der Erschließung war und ist bis heute der Einschlag von Holz, zum Beispiel von Mahagoni.

Ab etwa 1975 kam es mit Unterstützung der Regierung zu großflächigen Waldrodungen in den südlichen Randgebieten Amazoniens und längs der neu angelegten Straßentrassen. Viele dieser Rodungen wurden durch zugewanderte Agrarkolonisten durchgeführt (vgl. 237.5), die Flächen für den landwirtschaftlichen Anbau oder die Rinderhaltung gewinnen wollten. Die Agrarkolonisation schob sich von Süden entlang der Verkehrsachsen in die Bundesstaaten Rondônia, Mato Grosso und Pará vor. Parallel dazu stieg die Bevölkerung rasch an.

Als eine dritte Ursache für die Zerstörung der tropischen Wälder erwies sich die Ausbeutung von Bodenschätzen. Durch die Entdeckung und bergbauliche Erschließung riesiger Eisenerzvorkommen und bedeutender Lagerstätten beispielsweise von Gold, Zinn, Asbest, Bauxit und Erdöl schritten die Eingriffe in den Regenwaldbestand immer weiter voran (s. 265.4).

Alle drei Prozesse, der Holzeinschlag, die Agrarkolonisation und der Rohstoffabbau, waren und sind eng miteinander verbunden. So folgt zum Beispiel die illegale Landnahme häufig den Trassen, die für den Holzeinschlag oder den Erztransport angelegt wurden.

Aktuelle Entwicklungen

In den letzten Jahrzehnten haben sich im Bereich der Landwirtschaft mehrere Entwicklungen verstärkt und spielen heute eine Hauptrolle bei der Entwaldung Amazoniens, vor allem im Süden:

• die Rinderhaltung in Großbetrieben,

• die Ausweitung der Anbauflächen für Soja, das als Kraftfutter in der Rinder- und Schweinemast verwendet wird und

• der Boom von Biokraftstoffen, hier vor allem der Anbau des Rohstoffs Zuckerrohr.

Die brasilianische Regierung treibt die wirtschaftliche Entwicklung Amazoniens auch in den Bereichen Industrie und Dienstleistungen voran. Beleg dafür sind die Freihandelszonen entlang des Amazonas. Insbesondere Manaus hat inzwischen eine vergleichsweise breite industrielle Basis. Die Stadt profitiert dabei auch von der direkten Erreichbarkeit mit Ozeanschiffen über den Amazonas und den Erdöl- und Gasvorkommen im Westen Amazoniens.

Die Entwaldung Amazoniens schreitet seit Beginn der Erschließung in den 1970er-Jahren rasch voran. Im Bundesstaat Mato Grosso waren 1975 etwa 1 Prozent der Landfläche von den Rodungen betroffen, 1980 waren es bereits mehr als 6 Prozent, heute sind mehr als drei Viertel der ursprünglichen Regenwaldflächen Weide- und Ackerland gewichen. Ähnlich liegen die Verhältnisse in den Bundesstaaten Pará, Rondônia und Maranhão. In den Bundesstaaten Amazonien und Amapá ist der Waldanteil hingegen noch immer relativ groß. Aktuell werden nach offiziellen Angaben pro Jahr zwischen 4500 und 6000 Quadratkilometer Wald vernichtet, dies entspricht der doppelten Fläche des Saarlands. Gegenüber den 1990er-Jahren gehen die jährlichen Entwaldungsraten leicht zurück, sind aber nach wie vor hoch. Umweltschützer gehen davon aus, dass es eine beträchtliche Dunkelziffer bei gerodeten Flächen gibt, die offiziell nicht erfasst werden.

Die Karte zeigt einen relativ großen Anteil an Schutzgebieten für Indios. Sie sind – oft im Gegensatz zu ihrer Umgebung – fast vollständig bewaldet. Die Vielzahl illegaler Eingriffe und gewaltsamer Verdrängungen lässt vermuten, dass es aber auch hier zu Waldverlusten kommt.

Außerhalb der Schutzgebiete gibt es in den Bundesstaaten Amazonas und Acre nennenswerte geschlossene Regenwaldflächen ohne besonderen Schutzgebietsstatus (in der Karte hellgrün). Es ist zu befürchten, dass Holzeinschlag, Agrarkolonisation und Rohstoffabbau in den nächsten Jahrzehnten in diese Gebiete vordringen werden (von Süden, entlang der Straßen bzw. des Amazonas).

Der Preis des Raubbaus

Soweit die Stammesgebiete der noch etwa 100 000 indianischen Ureinwohner Amazoniens in Gebieten lagen, die sich in irgendeiner Weise wirtschaftlich ausbeuten ließen, wurden sie rücksichtslos verdrängt. Einige Stämme leben heute in Schutzgebieten, doch oftmals drohen ihnen der Verlust der kulturellen Identität oder das Verschwinden.

Eine andere Folge ist die Verminderung der Evapotranspiration und die dadurch bedingte Abnahme der Niederschläge, die beispielsweise zu Veränderungen im Jahresgang der Niederschläge mit atypischen Trockenphasen führen könnte.

Überdies lässt sich in den Rodungsgebieten eine dramatische Zunahme der Bodenerosion beobachten. Die Ausschwemmungen führen nicht nur zu einem erheblichen Verlust an Nährstoffen (vgl. 219.5), sondern auch dazu, dass viele Flüsse in der Amazonasregion von Schlammmassen braun verfärbt sind. Eine nicht weniger große Gefahr speziell für die Flüsse und ihre Bewohner sind Verunreinigungen durch Erdöl und durch hochgiftige Chemikalien und Metalle, etwa Quecksilber, die beim Abbau von Bauxit, Gold und anderen Rohstoffen zur Anwendung kommen und in großen Mengen in die Flüsse gelangen.

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